Der Versuch

Sam Schreiner

von Sam Schreiner

Story

Meine Augenlider fühlten sich an, als hielte jemand sie sehr fest zu. Ich wollte den Kampf mit der Schwere aufgeben, aber mir stach viel zu grelles Licht durch die Augen. Erneut versuchte ich, sie zu öffnen. Langsam, wie verklebt, lösten sich meine Augenlider voneinander und ich starrte direkt in helles Neonlicht. Ich fühlte mich, als wäre ich im Film. Meine Kehle brannte, als ich versuchte nach jemandem zu rufen. Ich drehte meinen Kopf nach links zum Fenster. In meinem verschwommenen Sichtfeld stand der Ständer mit der Infusion. Mein Arm lag ausgestreckt da, ich konnte das Blut in der Kanüle sehen. Meinem Räuspern folgten Schritte, die immer näher kamen. Eine Pflegerin kam an mein Bett. „Na, sind Sie wach?“, fragte sie und nestelte an der Infusionsflasche herum. Ich wollte ihr antworten, aber es kamen keine Worte heraus. „Gleich wird Sie ein Arzt sehen.“

Wieso sagte mir denn niemand, wieso ich im Krankenhaus war? Der Versuch, mich in meinem Krankenbett aufzusetzen, scheiterte kläglich. Meine Arme fühlten sich an wie Pudding und knickten direkt wieder weg. Gedämpft hörte ich Stimmen, die draußen vorbeigingen. Hörte die Pager der Ärzt*innen und mein eigenes Herz in meinen Ohren pulsieren. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Der Geruch von Desinfektionsmittel und Kantinenfraß stieg mir in die Nase und ich musste mich übergeben.

Als ich die Kotztüte zusammengeknotet hatte, schaute ich in ein fremdes Gesicht. Können die mich nicht einfach pennen lassen, verdammt nochmal?! Niemand lässt mich schlafen, obwohl ich doch so müde bin. Das fremde Gesicht fing an zu sprechen. „Herr Neves, sind Sie da?“ Blöde Frage. Er konnte doch sehen, dass ich da war. Und sowieso – wo sollte ich denn sonst sein? Nichts an meinem Körper verriet mir, was ich hier verloren hatte. Zumindest fühlte ich mich jetzt nicht mehr so, als wäre ich komplett in Watte eingewickelt. „Hmm“, brummte ich. „Setzen Sie sich mal auf“, wies er mich nüchtern an. Ich atmete tief aus und drückte mich mit den Armen in den aufrechten Sitz. „Okay, wir müssen uns jetzt mal unterhalten. Sie wissen, wieso Sie hier sind?“, fragte er im selben nüchternen Tonfall. Ich schaute ihn an, wartete darauf, dass er lachte, damit ich auch lachen konnte. Aber er lachte nicht. Ich schluckte, da war wieder das Brennen von vorhin. „Nein, eigentlich nicht. Ich hab ja keinen Wellness-Urlaub gebucht, oder?“ Er zog die Augenbraue hoch und kritzelte etwas auf sein Brett. „Wissen Sie, was gestern Abend passiert ist?“ Ich kniff die Augen zusammen. Da war irgendwie nur eine Leere, eine schwarze, endlose Leere. „Sie sind mit dem Rettungsdienst hergekommen“, fuhr der Arzt fort und als ich meine Augen öffnete, schaute er mich erwartungsvoll an. In meinen Ohren schrillte das Martinshorn, und mir wurde auf einmal unglaublich kalt. Ich lag auf meinem Küchenboden in der Wohnung. Es war dunkel und die Balkontür stand sperrangelweit auf. Aus irgendeinem Grund konnte ich mich nicht mehr bewegen. Ich hatte mein Handy fallen lassen, aber wieso lag ich auf dem Boden?

„Wie viel haben Sie genommen?“, fragte er laut, als würde ich ihn nicht verstehen. „Herr Neves, wie viele Tabletten haben Sie geschluckt?“


© Sam Schreiner 2024-03-20

Genres
Romane & Erzählungen