Während ich die gelbe Linie, die unseren Schulhof markierte, überschritt, teilte ich mich wie jeden Tag in zwei. Hier war ich Cat. Zu Hause war ich Catarina. Ein unerwünschtes Mädchen, das alles falsch machte und nur für Enttäuschungen sorgte.
„Hey, Digger, was hast du’s Wochenende getrieben?“, wurde ich von meiner Mitschülerin angerufen. Ganz automatisch setzte ich ein falsches Lächeln auf und antwortete: „Einfach nur gechillt und selbst?“„Mit Kai abgehangen. Dieser Lauch. Checkst du Mathe?“„Nein, ich raffe einfach diese Funktionen nicht. In Mathe bin ich ein Nullchecker. Du?“ Ich versuchte, mich ihrer Sprache anzupassen. Cool zu sein. Dazuzugehören. „Jo, auch so.“ Anscheinend hatte sie jemanden entdeckt und ließ mich stehen. Auch das war wie immer, denn ich war uninteressant und höchstens für einen Schlagabtausch genug. Genau das war auch der Grund für meine innere Teilung. Am Anfang dachte ich noch, dass eine neue Schule klar ginge, aber sie alle verstanden es nicht. „Fühl ich“, „Isso“, waren die einzigen Kommentare, dabei fühlten sie gar nichts. Sie fühlten nicht den Schmerz des Alleinseins. Sie fühlten nicht den Schmerz, den ich zu Hause erlitt. Sie fühlten nichts, waren rein oberflächlich. Nicht einmal, wenn sie es versuchen würden, würden sie es schnallen.
Das Bewusstsein ausgeschaltet, trabte ich neben den anderen her, um nicht zu lost zu wirken und schnappte auf, wie toll ihr Wochenende verlaufen war. Von Hip-Hop, Treffen, Partys, Hotdogs, shoppen und so weiter; alles war dabei. Niemand bemerkte mich.„Slay!“„Sheesh!“„Ey Digger!“„Was geht?“ Die Wortfetzen schwebten an mir vorbei, aber kein einziges Wort war freiwillig an mich gerichtet. Neulich hatte eine Mitschülerin Kuchen mitgebracht. Ich muss zugeben, dass ich happy war, weil ich zu Hause nie Kohlenhydrate im Überfluss zu mir nehmen durfte, doch es lief darauf hinaus, dass für mich nichts übrig war. Was auch sonst?
Im Unterricht saß ich allein. Allein in der letzten Reihe. Vorne laberte mein Lehrer über biologische Prozesse und ich kritzelte eifrig Notizen auf meinen Zettel. Anders, als ich gesagt hatte, war ich gut in der Schule. Den Ärger wegen einer schlechten Note wollte ich mir nicht einmal ausmalen. Bei einer Zwei bekam ich schon zu hören, dass es besser ging.
Am Ende der Stunde, wollte ich den anderen folgen, doch mein Lehrer hielt mich auf und legte mir mega kumpelhaft einen Arm um die Schulter.„Catarina.“ Mein Herz rutschte mir in die Hose und vor Angst zitterten meine Beine. Ähnlich, wie wenn ich mit meinem Vater allein zu Hause war.„Habe ich mich verschlechtert? Ich strenge mich wirklich sehr … “ Ich redete ohne jeglichen Zusammenhang und hinter meinem Rücken vernahm ich Wörter, wie „Streber“.„Nein, ich wollte dich etwas fragen.“ Er musterte mich aufmerksam. „Wie geht es dir?“
Wie bitte? Er erkundigte sich nach mir? Danach, wie es mir ging? Sollte ich die Hand nehmen, die er mir hinstreckte und endlich die Wahrheit sagen?
© Fabienne Biermann 2021-06-15