Die HĂ€nde einer Mutter

Stephanie Ramisch

von Stephanie Ramisch

Story

Die HĂ€nde einer Mutter erzĂ€hlen viele Geschichten. Zumindest ist das fĂŒr Antoine so. Mit den HĂ€nden vermag sie viel auszudrĂŒcken: Emotionen, Wohlwollen und FĂŒrsorge.

Antoines Mutter hat schon viele Köstlichkeiten zubereitet. Sie lĂ€sst sich damit Zeit und legt ihr ganzes Herz hinein. Das kann jeder schmecken. Es ist kein Geheimnis, dass Antoines Mutter ein heimlicher Sternekoch ist. Zum Beispiel bereitet sie jede Suppe mit einer Sorgfalt zu, als wenn es ihre letzte wĂ€re. Die BrĂŒhe der HĂŒhnersuppe wird lange abgeschöpft. Solange, bis sie eine Klarheit hat, in der sich ihre Geduld und FĂŒrsorge spiegeln. Wird die Stullendose fĂŒr Antoines Schultag zubereitet, liegt das Brot nicht einfach lieblos, kalt und alleingelassen in der Box. Nein, das wĂŒrde Antoines Mutter nicht ĂŒbers Herz bringen. Die Stulle wird in weiches Papier gepackt. Daneben liegt fein sĂ€uberlich die Serviette.

Die HĂ€nde von Antoines Mutter sind auch oft mit Erde bedeckt, wenn sie im Garten buddelt. Ihre PlastiknĂ€gel stehen dabei ganz im Widerspruch zur Natur und dennoch gibt es keinen grĂ¶ĂŸeren Gartenfreund als sie. Die Fahrten ins Gartencenter sind immer Teil der Wochenendplanung, obwohl dafĂŒr meist keine Zeit ist. Aufgrund dieser Hingabe erstrahlt der Garten hinter Antoines Haus wie eine Mittelmeeroase mit OlivenbĂ€umen und plĂ€tscherndem Wasser.

Antoines Mutter hat mit ihren HÀnden schon viele schöne Dinge gestaltet. Sie hat nicht nur den Garten, sondern auch das Haus entworfen, in dem sie wohnen. Sie hat mit ihm gebastelt oder Geschenke eingepackt. Das kann sie wie keine andere. Von der richtigen Anordnung der Geschenkbestandteile bis hin zur Verpackung gehen einige Zeit und Anstrengung ins Land. Am Ende schafft sie alles und fabriziert etwas mit Liebe.

Nach dem Bad wird der kleine Antoine immer fĂŒrsorglich von ihr eingecremt. Ihre HĂ€nde sind dann bis zum Rand gefĂŒllt mit der dickflĂŒssigen Lotion. Das GefĂŒhl des Eincremens empfindet er als kalt, glibberig und ganz und gar ungemĂŒtlich. In diesen Momenten, wenn sie ihn mit der viel zu fettigen Creme vollkleistert, verflucht Antoine ihre HĂ€nde. Sie meint es gut. Die Haut sollte ja von klein auf gepflegt sein. Eklig ist es trotzdem. Nur der Geruch lĂ€sst ihn aufatmen, denn es riecht nach FĂŒrsorge.

Abends, eingerollt in die Lieblingsdecke, umklammern ihre HĂ€nde die schĂŒtzende Wollschicht. Auf der Couch festgezurrt in dem flauschigen Objekt der Begierde, zeigen nur noch Nase und Zehen hervor. Ihre HĂ€nde sind dort sicher, brauchen an nichts denken, fĂŒr nichts sorgen und mĂŒssen nichts vorbereiten.

Die HĂ€nde von Antoines Mutter erzĂ€hlen eine Geschichte. Sie offenbaren viele Facetten, Talente und Eigenarten. FĂŒr ihn jedenfalls. Die HĂ€nde seiner Mutter gehören nur zu ihr. Und doch werden sie immer ein Teil von ihm sein. Sie hinterlassen einen Fingerabdruck, im wahrsten Sinne des Wortes.

© Stephanie Ramisch 2022-08-10

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