Bring‘ mir sofort die Aschenschaufel!â, brĂŒllte der Vater so laut, dass ich nur mehr erschrocken losstĂŒrmte, um endlich das geforderte Werkzeug zu holen. Er riss mir die Schaufel so heftig aus der Hand, dass ich beinahe auf dem kalten Steinboden landete. Dieses BrĂŒllen versetzte uns in Panik und Schrecken.
Er leerte den AschenbehĂ€lter aus, gab die Asche auf die groĂe Schaufel und machte sich daran, die Glut wieder zu entfachen. Der riesige SchĂ€del mit den dichten blonden Haaren war fettig und schweiĂnass, kleine Rinnsale liefen den kurzen Nacken entlang. Das Baumwollunterhemd war schmutzig, es klebte an seinem wuchtigen RĂŒcken und der breite Hintern steckte in einer kurzen blauen Hose, die wie Fahnen um seinen dicken Bauch flatterten.
Mein Vater war einmal ein attraktiver Mann gewesen â blond, groĂ und sehr charmant. Im alten Fotoalbum sah er tatsĂ€chlich in seinem braunen Tweedanzug und den straff nach hinten gekĂ€mmten Haaren aus wie ein Schauspieler der Ă€lteren Generation. Eine schlanke Erscheinung, vor ihm der Kinderwagen mit meiner Wenigkeit und hinter ihm meine Mutter â ein Bild mit viel Aussage. Sie stand immer im Schatten dieser narzisstischen Persönlichkeit.
FĂŒr mich symbolisierte er JĂ€hzorn und vor allem Wut! StĂ€ndig musste man vor ihm auf der Hut sein, denn seine Stimmung konnte von einer Sekunde auf die andere umschlagen, da musste man schauen, dass man nicht niedergemacht, geohrfeigt oder getreten wurde. Er war ein Tyrann, schikanierte die ganze Familie, Schnaps und Wein wurden seine besten Freunde.
Neben mir auf dem klobigen Hackstock lag die groĂe Hacke und ich ĂŒberlegte: „Ich hauâ ihm dieses Ding ĂŒber den SchĂ€del!“ Ich weiĂ noch genau, wie ich als VierzehnjĂ€hrige da stand und meine Hand bereits um den Griff gelegt hatte. Meine Mutter, mein Bruder und ich erlebten in diesem Haus die Vorstufe zur Hölle. Nach auĂen die perfekte Familie, eine unterwĂŒrfige Frau und wir Geschwister, die hart arbeiten mussten.
Plötzlich begann mein Kopfkino aktiv zu werden und es durchzuckte mich ein Gedanke: „Nein, in keinem Fall mache ich mich wegen ihm strafbar und lande im GefĂ€ngnis!“ Ich lieĂ den rauen Griff der Hacke los und begann die Aschenspuren auf dem Boden zu beseitigen.
An jenem verhĂ€ngnisvollen Tag habe ich beschlossen, zu studieren und mit Kindern zu arbeiten. Die Ausbildung zur Deutschprofessorin und PĂ€dagogin war hart. Ich wollte Kindern Mut machen und sie auf ihrem schulischen Lebensweg bis zur Matura begleiten. FĂŒr mich war es ein wunderbarer Moment, wenn mich die Maturantinnen und Maturanten bei der Abschlussfeier umarmten und TrĂ€nen der RĂŒhrung flossen.
Heute weiĂ ich, dass dieses Ereignis im Heizungskeller einer der prĂ€gendsten Momente in meinem Leben gewesen ist. Meine Mutter und mein Vater sind zwar schon seit vielen Jahren tot, aber meinen gewaltfreien Lebensweg hĂ€tte ich ohne die beiden niemals eingeschlagen â und deshalb erfĂŒllt mich mein Leben mit Stolz und tiefer Dankbarkeit!
© Christine BĂŒttner 2020-06-08