Die Mutprobe

Manfred Voita

von Manfred Voita

Story

Ich hatte noch keine geraucht, dabei war ich schon elf. Also stand fest: Wenigstens eine Zigarette würde ich rauchen! Zugegeben, ich sah ihr mit gemischten Gefühlen entgegen, immerhin hatten mich die Pausenclique vom Schulhof ganz schön bedrängt, bis ich endlich soweit war. Dafür akzeptierten sie mich, kaum stand mein Entschluss fest, sogleich als Mann unter Männern.

Zigaretten besaß aber keiner der Jungs uns unsere zusammengeworfene Barschaft reichte gerade für ein Zündhölzer. Daheim um Geld für Zigaretten zu bitten, schien keinem von uns eine gute Idee. Ich fühlte wohl nur Erleichterung, als ich mich bereit erklärte, meinen ersten Rauchversuch zu verschieben. Im Stillen hoffte ich vielleicht sogar, dass meine Mitschüler den guten Willen für die Tat nähmen und ich noch einmal davon kommen könnte.

Die Pausenclique zögerte eine angemessene Bedenkzeit lang, dann kam Helmut mit seinem Vorschlag: „Wir klauen einfach ein Päckchen!“

Eben noch hatte ich mich für mutig und ein wenig verrucht gehalten, weil ich heimlich rauchen wollte. Nun erkannte ich, wie leicht man auf die schiefe Bahn geriet. Aber ich schwieg und hörte scheinbar ruhig doch innerlich zitternd den Plan an.

Im Laden arbeitete nur ein Verkäufer, den galt es abzulenken und im rechten Moment in das Regal zu greifen, raus und fertig. Es konnte nichts schief gehen. Ich kannte die einschlägige Kriminalliteratur noch nicht, sonst hätte ich geahnt, dass es so simpel nicht sein konnte.

Da war noch eine Kleinigkeit: Ich sollte den Griff ins Regal tun.

Wir betreten den Laden, alle verteilen sich überall im Raum, während ich mich im Eingangsbereich herumdrücke. Alles ist ganz unwirklich, so, als würde ich gar nicht hier sein, sondern einem Film zuschauen. Wie vorhergesagt, ist der Mann allein im Geschäft und die hektischen Bewegungen meiner Komplizen beunruhigen ihn. Überall wird etwas angefasst und hochgehoben, lange hält er es nicht aus und wie beabsichtigt geht er nach hinten, dort, wo ihm die Regale die Sicht auf die Kasse versperren. Jetzt? Gleich wird er wieder hersehen! Jetzt! Ich bin fast starr vor Furcht, heiß ist mir und mein Herz rast, dann packe ich ins Regal, greife mir eine Schachtel HB, genau wie abgesprochen und schon sind meine Kumpane wieder da, gleich darauf verlassen wir zusammen den Laden.

Wir hatten das perfekte Verbrechen begangen. Noch heute würde ich wetten, dass der Händler den Diebstahl nie bemerkt hätte. Wenn ich auch vor Angst fast gestorben und am liebsten weggelaufen wäre, jetzt war ich stolz. Großspurig zeigte ich meine Beute vor und erntete die Anerkennung meiner Mittäter.

Die Hand in meinem Nacken gehörte jedoch keinem von ihnen. Der Kaufmann hatte uns erwischt, das heißt mich, denn die anderen hatten die weiteren Ereignisse nicht abgewartet. Heute weiß ich, dass es dumm war, unsere Beute direkt vor dem Schaufenster des Geschäftes teilen zu wollen. Aber wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn mein erster Coup geglückt wäre!

© Manfred Voita 2020-07-18

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