Die Nonne

Elisa Morgenroth

von Elisa Morgenroth

Story

Ein Benediktinerinnenkloster – Mittelalter

Es war Nacht und um sie her erklang das Schnarchen der anderen Novizinnen. Noch immer hatte das Mädchen sich nicht an die Abläufe im Kloster gewöhnt, obwohl sie schon seit dem letzten Winter zwischen den zugigen Mauern lebte. Übermüdet zog sie sich das Federkissen über den Kopf und kniff die Augen zusammen, um die Geräusche der anderen Frauen nicht mehr hören zu müssen. Sie brauchte dringend ein wenig Schlaf. In wenigen Stunden schon würden die Glocken für die nächtliche Matutin läuten – das Gebet, bei der es ihr am schwersten fiel, die Augen offenzuhalten. In den wenigen Stunden zwischen Matutin und Laudes am frühen Morgen fand sie meist nicht mehr in den Schlaf hinüber. Und ohne Schlaf würde sie von der Novizenmeisterin für ihre Trägheit am Tag gescholten werden – wieder einmal.

Ihre Gedanken wanderten – wie in jeder schlaflosen Nacht – nach Hause. Zu Mutter und Vater, zu ihren Schwestern und BrĂĽdern. Doch das machte sie nur traurig. Sie wĂĽrde die Burg mit all ihren Bewohnern nie wiedersehen. Dabei hatte ihr Leben doch so anders verlaufen sollen! Tränen quollen ihr zwischen den Lidern hervor, als sie an ihren Verlobten dachte, mit dem sie hatte davon laufen wollen. Wie es ihm wohl nach seiner Ergreifung ergangen war? Niemand wollte ihr Auskunft gegeben. Die Nonnen hatten ihre Fragen mit harten Schlägen auf die Finger bestraft und ihr Widerstand gegen das klösterliche Leben war schnell gebrochen. Sie verlor sich zwischen unterdrĂĽckten Schluchzern und dämmerte in den Schlaf hinĂĽber. Bis ein seltsames GefĂĽhl sie weckte … Die Laken unter ihr fĂĽhlten sich nass an und Schmerzen wĂĽhlten in ihrem Unterleib. Entsetzt riss sie die Decke von sich. Und schrie.

Um sie herum erwachten die anderen Frauen, Schritte wurden laut und Öllampen entzündet. Ein Licht blendete das Mädchen, das wimmernd auf den blutigen Fleck zwischen ihren Beinen starrte. Einige ältere Novizinnen kicherten.

»Was ist hier los?«, herrschte eine strenge Stimme. Es war die Novizenmeisterin – in der Hand eine Kerze haltend. Tadelnd blickte sie sich nach der Verursacherin des nächtlichen Aufstandes um. Die Frauen kicherten noch immer. Nur eine deutete auf das weinende Mädchen. Kurz verharrte der Blick der Meisterin auf den blutigen Laken. Dann fuhr sie wütend auf. »Euch unchristlichen Gören ziehe ich die Beine lang! Was steht ihr da und lacht wie die Gänse! Ab ins Bett mich euch!« Sie wandte sich an das Mädchen. »Und du machst diese Schweinerei hier weg und gehst dich waschen. Eine Frau hat mit ihrer Unreinheit diskret und demütig umzugehen und nicht so einen Aufstand zu machen!«

Weinend stand das Mädchen auf und raffte ihr Nachtgewand. Dann verharrte sie zitternd in der kalten Nachtluft und wusste nicht, was sie tun sollte.

Die Meisterin stieß geräuschvoll Luft durch ihre Nase aus. Ihre Miene glättete sich ein wenig. »Hat deine Mutter dir denn gar nichts beigebracht, Kind?«, seufzte sie und zog das Mädchen mit starker Hand hinter sich her aus dem Dormitorium. Ein letztes Kichern verfolgte die beiden bis vor die Tür.

© Elisa Morgenroth 2025-05-12

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Dunkel, Emotional