von Henrike Vogel
Ich kann das Gras wachsen hören. Und das Getreide, die Erbsen, die Linsen, ja, sogar den Klee, der den Boden bedeckt und lockert, wenn das Feld brach liegt. Schon meine Ururgroßmutter war Bäuerin. Die Hälfte meines Ackers ist im letzten Jahrzehnt versandet. Die Bäume und Hecken, die ich mit meinen Müttern pflanzte, konnten die Erosion leider nicht aufhalten. Im Winde verweht war keine romantische Liedzeile mehr.
Es knackt. Das Geräusch erinnert mich an einen Geigerzähler. Vielleicht weil die Welt in meinen Augen apokalyptische Züge angenommen hat. Da kommt mir der Popcorn-Vergleich fehl am Platz vor. Die Trockenheit macht einigen Pflanzen zu schaffen. Es gibt Wasser für Golfplätze, aber nicht für mich. Das Bild einer Gesellschaft, die vom Schimmel befallen ist. Sie bewahrt so lange ihre sogenannten Traditionen, bis sie verrottet ist.
Tröpfchen für Tröpfchen lasse ich das rationierte Wasser in den Boden sickern, bis das Knacken nachlässt, seinen Takt ändert. Meine Pflanzen sprechen zu mir. Sie wissen nicht, dass ich zuhöre und sie verstehe. Sie reden miteinander, warnen sich gegenseitig, damit ihre Spezies überlebt. Mit mir haben sie nichts zu tun.
Gerade als ich vom Bedienpult aufstehen will, schwillt das Knacken an. Ich warte kurz ab. Vielleicht frisst eine Raupe die Blätter oder Wurzeln an? Aber das wären andere Geräusche. Ich habe sie inzwischen mithilfe der Technik zu unterscheiden gelernt. Plötzlich schreit mein ganzer Acker. Mein Körper reagiert nicht. Die Situation ist zu unwirklich, um unheimlich zu sein. Ich schnappe mir meinen Sonnenhut und stapfe in die flirrende Hitze. Im Schatten der Bäume bleibe ich kurz stehen und atme durch. Ich hangel mich von Schatten zu Schatten. Bücke mich, um die Pflanzen zu inspizieren. Ihr Grün ist kräftig. Nirgendwo entdecke ich eine Massenplage. Nur hier und da eine Schnecke, einige Raupen und Blattlauslarven, die gerade von Ameisen umgesiedelt werden. Meine Kollegen und ihre Herde.
Als ich zurückkehre, ist es gespenstisch still. Die Angst weht mir wie eine Böe ins Gesicht. Ich atme sie ein und sie reichert mein Blut an. Die Geräte funktionieren einwandfrei. Ich teste sie fünf Mal. Nichts. Meine Pflanzen sind tot. Und ich weiß nicht, was sie umgebracht hat.
Die Angst in meinem Blutkreislauf spricht. Ihre Worte wälzen sich über mich. Dies ist nur der Anfang. Dies ist nur der Anfang, wiederholt sie.
Ich packe alles zusammen, grabe die Sonden aus, baue die Geräte ab. Schon lange lebe ich mit dem festen Willen, mich nie von der Angst beherrschen zu lassen. Mein Auto hinterlässt einen Sandsturm, so sehr rase ich, während ich alle Universitäten und Behörden, die ich telefonisch erreichen kann, über die Freisprechanlage anschreie. Ich muss die Warnung meiner Pflanzen weitergeben. Damit meine Spezies überlebt.
© Henrike Vogel 2023-07-12