Ein narzißtischer Vater

P-Hildegardsen

von P-Hildegardsen

Story

Diese trüben Tage mit sehr viel Regen bringen auch Grübeleien mit sich. Beispielsweise Erinnerungen an meine Kindheit. Wenn ich die beschreiben sollte, wüßte ich nicht, wie ich das konkret ausdrücken könnte. Denn kurioserweise bringen die Ereignisse der letzten paar Jahre die Kindheitsgefühle wieder hoch. Gleichzeitig spüre ich eine andere, eine neue innere Ausrichtung. Zahlreiche Therapiestunden, Gespräche, Buchlektüren udgl zerren die damaligen Gefühle wieder ans Tageslicht. So als ob ich all diese früheren Empfindungen nochmals herauskramen und ansehen müßte, damit sie nun neu geordnet verabschiedet werden können. Diese Gefühle und Erinnerungen werden nicht vergehen, aber sie werden mich (hoffentlich) nicht mehr so stark beherrschen und dominieren. Nicht mehr mein aktuelles Handeln so unreflektiert beeinflussen.

Mein Vater war sehr dominant. Meine Mutter hat sich immer untergeordnet, nie protestiert. Im Gegenteil. Wenn ich mich auflehnte, dann machte mich auch meine Mutter noch nieder. Sprach mir meine Gefühle, meine Bedürfnisse, meine Ängste ab. Kam meiner kindlichen Seele mit einer Härte entgegen, die bewirkte, daß ich mich immer mehr in mich selbst zurückzog. Das Gefühl der seelischen Einsamkeit, meiner zurückgestoßenen Empfindungen hat mich mein ganzes Leben hindurch begleitet. Ich kannte einfach nichts anderes. Nur immer die Feststellung, daß etwas mit mir nicht stimmen würde.

Jetzt im Alter stellt sich heraus, daß mein Vater wohl ein Narzißt war. Daß meine Mutter all ihre Kraft brauchte, um sich selbst irgendwie am Leben zu erhalten. Soviel Kälte und Härte in unserem Leben. Ich hielt es immer für das Ergebnis des Krieges, der unseligen Gefangenschaft, in die mein Vater nach Kriegsende noch geraten war. Doch weiß ich, daß es sehr wohl auch möglich war, daß Menschen, die einen oder mehrere Kriege erlebt hatten, den Kindern, Enkeln und Familienmitgliedern Liebe, Wärme und Unterstützung zukommen ließen. Meine Oma (die Mutter meines Vaters) war solch ein Mensch. Mein Bruder und ich verehren sie heute noch als jenen einzigen Menschen in unserem Leben, wo wir Kinder ein Gefühl der liebevollen Zuneigung spüren konnten. Egal wie wir drauf waren, es war immer ok.

Vater hingegen verlangte, daß alles nach seiner Pfeife tanzen mußte. Es wurde immer kritisiert, nie gelobt. Alleine sein Gesichtsausdruck konnte uns Kinder frieren lassen. Das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Zu stören. Irgendwie nicht richtig zu sein. All das wurde durch seinen Gesichtsausdruck gezeigt. Und dann die Worte. Hart, kalt, verletzend. Und Mutter war entweder auf seiner Seite oder selbst so (seelisch) verletzt, daß wir Kinder sie stützen und trösten mußten. Angst war immer unser Begleiter. Nicht, daß wir geschlagen worden wären. Es war diese Angst vor seelischen Verletzungen, die soviel tiefer geht. Soviel härter geht. Und die tatsächlich ein Leben lang eine schwärende Wunde bildet.

© P-Hildegardsen 2021-05-14

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