Eine Kuh verpasst mir ein blaues Auge

Klaus Schedler

von Klaus Schedler

Story

„Puh, das war knapp!“ Benommen lag ich im Kuhstall am Boden in einer Futterrinne. Langsam wurde mir klar, dass ich barfuß vom Mittelgang mit einem Fuß beim Verteilen des feuchten Grünfutters ausgerutscht war. Reflexartig hatte ich versucht, mich an dem Holzgestell der Anbindehalterung abzufangen, wobei sich die dort fressende Kuh erschreckte und dabei ruckartig ihren Kopf nach oben warf. Ihr rechtes Horn traf mich knapp neben dem linken Auge, rutschte von dort ab und hinterließ einen kleinen Riss in meinem Ohr. Die Wucht dieses Stoßes aber hatte mich komplett umgehauen.

Bemerkt hatte den Vorfall sonst niemand. Der Bauer und seine Frau waren mit Melken beschäftigt und der Sohn warf von oben weiteres Grünfutter durch die Luke in den Mittelgang. Mein Gesicht schmerzte zwar mächtig, aber ich rappelte mich auf und arbeitete trotzdem weiter. Im Mittelgang stand ich auf Betonboden und der ging an den Rändern übergangslos in glasierte Futtertröge über. Diese bildeten links und rechts des Ganges zwei langen Rinnen, hinter denen dann die Kühe standen. Klar waren diese Rinnen durch das frische Gras rutschig. Es war also mein Fehler gewesen und was hätte es denn genutzt, wenn ich der Kuh böse gewesen wäre?

Als wir später beim gemeinsamen Abendessen zusammensaßen fragte mich die Bäuerin „Zeig her, wås hast’n då?“ Ich hatte keine Ahnung was sie meinte, zumal ich mich vor dem Essen lediglich im Stall gewaschen hatte, wo es keinen Spiegel gab. Tatsächlich! Fast meine gesamte linke Gesichtshälfte war geschwollen und bereits gelblich unterlaufen. Ich erzählte von meinem Sturz und niemand lachte über mein Ungeschick. Man entschied vielmehr, dass ich großes Glück gehabt habe, weil das Auge unverletzt geblieben war. Nur wegen eines blauen Auges werde man aber des Abends nicht zum Doktor fahren.

„Då waß i wås Bessers!“ meinte der Sohn „… mir zwoa gehn heit no im Dorf drunt ins Wirtshaus und wern uns um a Bier umischaun. Und daun nachher wirst gwiss guåt schlåfn“ … und so war es auch. In den nächsten Tagen musste ich mir zwar noch einige Hänseleien anhören, mit wem ich im Wirtshaus gerauft hätte und wie mein Kontrahent aussehe, aber bald war alles vergessen. Nach wenigen Tagen waren dann ohnehin die Ferien vorbei und ich verließ den Bauernhof im Allgäu, um mich daheim im Münsterland langsam auf mein Abitur vorzubereiten.

Heute kennt man den Stier und den Bären auch als Symbol für das Marktgeschehen an der Börse. Hintergrund ist, dass Rinder mit ihren Hörnen von unten nach oben stoßen, während Bären mit ihren Tatzen von oben nach unten hauen. Der Stier steht also für steigende und der Bär für sinkende Kursentwicklungen.

Bis heute denke ich bei Börsenberichten an meinen einstigen Unfall im Kuhstall. Natürlich hatte ich es damals nicht mit einem Stier, sondern mit einer Kuh zu tun. Noch ärger wäre es aber wohl gewesen, wenn ich einen vergleichbaren Konflikt mit einem Bären auszutragen gehabt hätte. Jedenfalls hab ich damals riesengroßes Glück gehabt.

© Klaus Schedler 2020-10-15