Mia und Eva trafen sich auf einen Feierabenddrink in einer Bar.
Mia trommelte nervös mit den Fingerknöcheln auf den Tisch. âErinnerst du dich an das Geheimnis, in das ich dich neulich eingeweiht habe?â
Eva ĂŒberlegte und nickte dann. âAls du heulend auf der Parkbank gesessen bist und gedacht hast, die Welt geht unter?â
Mia starrte verlegen ihr Glas an. âĂh ⊠ja. Okay, du weiĂt, wovon ich rede. Na ja, es ist anders gekommen, als ich dachte. Es war ein MissverstĂ€ndnis. Ich habe es dir voreilig erzĂ€hlt und jetzt â vergiss einfach, was ich dir gesagt habe. In Ordnung?â
Eva schmunzelte. âDu hast dich geirrt? Deine Wahrheit hat sich geĂ€ndert?â
Mia sah sie groĂ an. âIrgendwie schon. Die Sache ist nur, dass ich vor drei Monaten schon ein Ă€hnliches Problem hatte. Ich habe Vera davon erzĂ€hlt, aber die sehe ich so selten. Sie hatte mir was vorgejammert ĂŒber ihr Leben. Dann habe ich ihr eben erzĂ€hlt, was bei mir so los ist. Dich sehe ich wenigstens jede Woche, aber bei Vera ist das anders. Ich habe sie seitdem nicht getroffen. Die denkt jetzt bestimmt, mein damaliges Problem ist noch aktuell. Und wenn sie mich danach fragt, wie stehe ich dann da?â
Eva lieĂ ihren Blick durch den Raum schweifen. âVielleicht wunderst du dich, dass ich dich noch nie in eines meiner Probleme oder in ein Geheimnis eingeweiht habe. Wir sind doch schon so lange gute Freundinnen. Aber einweihen ist einfacher als ausweihen!â
âAusweihen?â, lachte Mia, die dieses Wort noch nie gehört hatte.
âDen Begriff habe ich gerade erfundenâ, bekannte Eva. âKommunikation fĂŒhrt oft zu MissverstĂ€ndnissen. Hinzu kommt, dass sich viele Dinge im Leben Ă€ndern. Dass sie sich wandeln oder du nur noch nicht alle Aspekte einer Situation erfasst hast. Ich weihe dich also in eine Sache ein – aber die Frage ist, wie weihe ich dich im Zweifelsfall wieder aus?â
âVertraust du mir so wenig?â, empörte sich Mia. âIch vertraue dir. Und ich weiĂ, dass ich – wie alles im Universum – dem Wandel unterworfen bin. Hast du dir aber einmal ein Bild meiner Situation gemacht und lĂ€ufst damit in der Welt herum, behindert es meine Aktualisierungstendenzen. Deshalb behalte ich meine Geheimnisse und Probleme lieber fĂŒr mich, bis sie verschwinden.â
âDu könntest mich aber auch in die neue Lage einweihen!â, widersprach Mia.
Eva grĂŒbelte. âWenn ich damit anfange, kann ich wohl nicht mehr damit aufhören. Glaub mir, das wĂ€re nicht lustig. Einweihen, ausweihen, einweihen. Nee. Denk an Vera, die siehst du selten. Jetzt lĂ€uft sie herum und denkt, du hĂ€ttest ein Problem, das du schon lĂ€ngst wieder losgeworden bist! Einweihen fĂ€llt oft schwer genug, aber ausweihen ist so gut wie unmöglich!â
Mia hob feierlich ihr Glas. âJetzt hast du mich immerhin in deine Theorie des Ausweihens eingeweiht!â
Sie mussten lachen und lieĂen die GlĂ€ser klirren.
Da kam Eva ein beunruhigender Gedanke: âUnd was tue ich, wenn ich merke, dass sich meine Theorie als falsch herausstellt?â
© Anna Theresa Schreiber 2021-08-19