Erste Zweifel

Celine Sellke

von Celine Sellke

Story

Zurück auf dem Boden der Tatsachen angelangt, scheint von dieser Perspektive aus doch nicht alles so perfekt zu sein, wie ich es zunächst mit meiner rosaroten Brille gesehen habe. Doch was hat sich zwischen uns so plötzlich verändert? Und wieso habe ich es nicht früher bemerkt?

Es trifft mich wie ein Schlag. Mitten ins Gesicht. Und plötzlich bin ich erwacht. Die harte Realität, dass wir langsam auseinander driften, wird mir überdeutlich bewusst. Wie konnte ich es nicht früher erkennen? Dass sich Risse in dem Asphalt unserer Beziehung gebildet haben, ganz langsam breiten sie sich immer weiter aus, wie klaffende Wunden, die ohne ein Pflaster immer weiter aufreißen werden. Wieso konnte ich nicht früher erkennen, dass das Fundament unter uns zu wackeln beginnt? Wieso konnte ich nicht früher erkennen, dass alles, was wir uns mit Mühe aufgebaut haben, zu zerbrechen droht?

Etwas muss sich ändern. Ich kann und werde nicht akzeptieren, dass wir uns einfach so auseinander gelebt haben. Ohne dass einer von uns beiden etwas bemerkt hat. Ohne einen Kampf werde ich nicht einfach vom Schlachtfeld unserer übrig gebliebenen Beziehung abziehen. Dich zu verlieren würde mir den Boden unter den Füßen wegreißen und mich in tausend Stücke zerfetzen, bis nichts mehr von mir übrig bleibt. Denn wie soll ich ohne dich leben, wenn du alles bist, was mein Leben lebenswert macht? Wenn du mein Motor bist, der mich immer wieder aufs Neue antreibt? Doch wie konnte es nur so weit kommen?

Vielleicht fühlen wir uns nicht mehr so nahe, weil ich immer öfter mit mir selbst zu kämpfen hatte, als an unserer Beziehung festzuhalten. Die Selbstzweifel, nicht genug für dich sein zu können, standen mir immer öfter im Weg. Wie ein dichter Wald, in dem ich den Pfad zu deinem Verständnis und deiner Liebe aus den Augen verloren habe. Und jetzt stehe ich in der Dunkelheit meines Waldes aus hohen Bäumen, die mich kritisch anblicken und um mich herum habe ich ein tiefes Dickicht aus selbst gestrickten Ängsten des Versagens wachsen lassen. Nun hier angekommen ohne Orientierung, ohne Ausweg, weiß ich nicht mehr weiter.

Wie soll ich diesem Irrweg je entrinnen können, wenn ich mich selbst nicht befreien kann? Und genau jetzt, wo ich alleine bin, wird mir eins ganz genau bewusst. Vielleicht bin ich die einzige, die erst jetzt verstanden hat, welche Distanz sich zwischen uns entwickelt hat, die du schon längst erkannt haben könntest. Als ob mich jemand aus einer Trance geweckt hätte, wird mir jetzt erst klar, dass ich viel zu lange weggesehen habe und mich in mir selbst verirrt habe, ohne auch nur einmal an dich zu denken.

Entgegen aller Vernunft erblicke ich in der Ferne einen leichten Lichtstrahl. So hell und wunderschön. Zum Greifen nahe.

Denn du streckst mir behutsam deine Hand entgegen. Du hilfst mir erneut, mir selbst entfliehen zu können. Mich aus meiner eigenen Dunkelheit befreien zu können. Doch wie oft kannst du noch Kraft für uns beide aufbringen, bevor auch du drohst unterzugehen?

© Celine Sellke 2022-08-10

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