Fernsehen, Zähneputzen, Schlafen

Hermann Exenberger

von Hermann Exenberger

Story

ES WAR IM WALDVIERTEL (N.Ö.) in den frühen 1950er-Jahren, als meine Volksschullehrerin in der Klasse eine kleine, für mich visionäre Rede hielt. Sie sagte folgendes: „Ich selbst werde es nicht mehr erleben, aber ihr werdet es noch erleben! Ihr alle kennt ja ein Radio. Ein paar von euch haben sogar eines in der Stube stehen. (Bei uns war es ein Volksempfänger). Ich sage euch: Eines Tages werdet ihr ein Radio mit Bildern haben. Ich weiß auch nicht genau, wie das funktionieren kann, aber es wird so etwas wie ein Radio sein und daneben werdet ihr ein Bild sehen.“ Wir Schüler hatten damals keine Ahnung, wie denn auch, wenn selbst die Frau Lehrerin es nicht wusste. Keiner konnte sich nur entfernt vorstellen, was sie meinte.

Als die Menschen dann das erste Mal in ihrem Leben Fernsehbilder sahen, machte das ungeheuren Eindruck auf sie. Jeder von ihnen weiß noch ganz genau, wann und teilweise auch wo er die erste Fernsehsendung gesehen hatte. Man erinnert sich an diese Momente als etwas Einmaliges, Umwälzendes, ja einfach Großes.

„Ich kenne Kleinkinder, deren Tagesablauf sich nach dem Betthupferl richtet, schnell, schnell, Handi waschen, gleich kommt das Betthupferl`- und Mütter, die mit holpernden Kinderwägen vom Spielplatz heimeilen, damit die lieben Kleinen die Familie Feuerstein nicht versäumen“, schreibt die Journalistin Erika Molny am 5. August 1975 in der „Wiener Zeitung“.

Eine Episode ist für mich auch typisch für diese Zeit: Eine Wiener Familie besaß in unserem kleinen Dorf ein Ferienhaus. Außerdem gehörte ihnen damals das einzige Fernsehgerät weit und breit. Für uns war das alles neu, eine Sensation, und es übte eine starke Anziehungskraft aus. Wie in anderen Dörfern war auch in diesem Dorf Fernsehen anfangs ein gesellschaftliches Ereignis. Wir besprachen, welche Sendung wir uns gemeinsam anschauen wollten. Hier im Waldviertel war es die „Löwingerbühne“ mit den volkstümlichen Stücken, viele aus dem Ort versammelten sich im Wohnzimmer. Jede verfügbare Sitzgelegenheit wurde in den kleinen Raum getragen, und dicht gedrängt verfolgte man gemeinsam die Sendung.

Dasselbe geschah in der Nachbargemeinde um 1960: Auch hier gab es nur ein Fernsehgerät. Diesmal war es der „Kasperl“, der einmal wöchentlich, und zwar am Mittwoch, viele Kinder aus der Umgebung anlockte. Allerdings durfte nur zuschauen, wer die“ Eintrittsgebühr“ in Höhe von einem Schilling bezahlte.

Am Beginn war Fernsehen noch ein Gemeinschaftserlebnis. Das änderte sich aber sehr schnell. Unversehens saß jeder bei sich zuhause abends alleine vor seinem Fernsehgerät. Es ist schon sehr interessant, wie sich dadurch innerhalb weniger Jahre das Leben nicht nur am Land nachhaltig verändert hat. Ich würde sogar von einer „Zeit davor“ und einer“Zeit danach“sprechen. In der“Zeit davor“ saß man nach der Arbeit beisammen, unterhielt sich, spielte Karten und erzählte sich Neuigkeiten. In der „Zeit danach“ scheint alles wie ausgelöscht zu sein. Die Begegnungen sind jetzt weniger.

© Hermann Exenberger 2023-11-15

Genres
Romane & Erzählungen