von Nora Beiteke
Als sie seinen Namen aus dem Mund ihrer Kollegin hörte, konnte sie es kaum glauben. Ihr Geschäftspartner, mit dem sie in Telefonaten und E-Mails doch deutlich weiter abgeschwiffen war, als im business Kontext angemessen gewesen wäre. Es fing harmlos an, mit Zitaten von Oscar Wilde. Wobei, wann war Oscar Wilde jemals harmlos. „Man bereut nur das, was man nicht getan hat.“ Es ging weiter in Abhandlungen über die Schnittmenge aus Imagination, Manifestation und Kunst. Und jetzt stand er also vor ihr. Fendrich Alira. Nach einem derart seelisch tiefschürfenden Austausch war sie aus alter Erfahrung darauf vorbereitet, von seiner Erscheinung enttäuscht zu sein. Aber dem war nicht so. Dunkles Haar und klug blitzende Augen in angenehm männlich kantigen Gesichtszügen. Ein durchschnittlicher Körper, an dem aber Spuren sportlicher Betätigung zu erkennen waren. Garniert mit seinem fein ziselierten Intellekt sehr ansprechend. „Fendrich Alira?“ sie blickte ihn an. „Der Fendrich Alira – Jurist, Literat, Grenzgänger?“ Er lächelte. „Wenn das nicht Christine Zarrath ist. Und sie ist genauso schön wie eloquent.“ Ihnen beiden war bewusst, dass ihre Konversation den Umstehenden unangenehm war. War es ihnen egal? „Ich sollte wohl auf dem wackeligen Untergrund dieser lebendigen Emotio wieder in die Richtung der gesellschaftskonformen Kommunikation voltigieren.“ Er lachte. „So wie ich dich einschätze, kannst du dir die ein oder andere kleine Transgression ganz gut verzeihen.“ Ihr Blick verschränkte sich einen Moment zu lang in seinem, während die Nervenzellen ihrer Finger den Schwung seiner Kinnlinie zu erahnen versuchten. „Dazu wird es wohl nicht kommen, denn ich werde jetzt zum nächsten Termin müssen – ab in die binäre Sicherheit der Nullen und Einsen, meine erhitzten Schaltkreise im Eisbad der Kognition kühlen.“
Der Zufall führte sie am späten Nachmittag wieder in der Teeküche zusammen, wo Fendrich mit ihrem Kollegen Daniel stand. Er ergriff seine Chance sofort. „Unser Termin endet um 17 Uhr – wirst du mir dann eine deiner berühmten Kurzgeschichten zeigen?“ Sie wusste genau wo das hinlief. „Ich überlege noch, welche fingierten Hindernisse ich dir davor lege, um sie zu überwinden. So eine Geschichte will wohl verdient sein. Also, was wird es sein. Ein Anflug von moralischen Bedenken? Eine plötzliche Kühle in Gestalt der Abwertung deines Aussehens oder deines Charakters? Die Andeutung einer Enttäuschung der Realität gegenüber meines Idealbildes von dir?“ Daniel war sichtlich verwirrt über diesen Austausch, während Fendrich sofort alle Antworten parat hatte. „Den moralischen Bedenken werde ich mit Verständnis und tugendzersetzenden Philosophiezitaten begegnen. Allen Abwertung von dir meinerseits werde ich gnadenlos und überzogen zustimmen. Und niemals würde ich dein Idealbild enttäuschen, denn dank deiner Texte kann ich ihm heute voll und ganz entsprechen.“ Diesen verbalen Schlagabtausch hatte er gewonnen. „Wir sehen uns um 17 Uhr- in meinem Büro.“
© Nora Beiteke 2024-06-09