Frag mich nicht – ich müßte sonst lügen

P-Hildegardsen

von P-Hildegardsen

Story

Derzeit bin ich am Beginn einer neuen Freundschaft im Ort. Natürlich tauscht man sich auch über Leute aus, die man kennt. Mehr oder weniger gut kennt. Seit Kindheit habe ich den Zugang, daß ich bei Erzählungen entweder gleich dazu sage, wer mir was erzählt hat oder ich sage nur das weiter, das allgemein bekannt und damit kein Geheimnis ist. Auf diese Art habe ich in den vielen Lebensjahrzehnten wohl auch unendlich viele Geheimnisse in mir vergraben. Vertrauliche Geständnisse und Berichte sind und bleiben bei mir vergraben. Das fällt natürlich mal leichter und dann wieder doch schwerer, wenn man den anderen Leuten zuhört, was die so alles über bestimmte Personen “wissen” und man selbst weiß es doch anders. Aber naja, es ist wie ein körperliches Training – dieses “Mund halten”.

Meine Mutter behauptet seit meinen Kindertagen, daß man mir alles vom Gesicht ablesen könnte und ich nie eine gute Kartenspielerin werden würde. Wenn ich jemanden mag, dann strahlen meine Augen, mein Gesicht wird weich und mich würde eine wärmende Aura umgeben. Wenn mir aber jemand nicht liegen würde, dann sähe man mir das einen Kilometer gegen den Wind an. Harte Gesichtszüge (mittlerweile Falten?!), zusammengepresster Mund, steife Körperhaltung. Und das höre ich echt seit meiner Kindergartenzeit.

Und nun fragt mich meine mögliche neue Freundin nach einer bestimmten nachbarlichen Konstellation, wo ich zwar von den beiden betreffenden Personen etwas weiß, das aber auf keinen Fall erzählen möchte. Dank der hundertmal von Mama geschilderten körperlichen Versteifung spüre ich das nun tatsächlich. Ich erstarre und bringe kein Wort über die Lippen. Nicht einmal irgendeinen blöden Spruch, um diese unangenehme Frage zu umschiffen. Verdammt, irgendwas lockeres Belangloses muß ich doch ausspucken können??!!

Doch da ist nichts in meinem Hirn. Ich darf nichts sagen. Ich will nichts sagen. Ich bin eigentlich gar nicht da … und plötzlich taucht ein Satz auf, den ich als kleines Kind in ähnlichen Fällen von mir gab: “Frag mich nicht – ich müßte sonst lügen.”

Und nun kommt mir alles doch recht lustig vor, weil man halt irgendwie nicht auskommt. Wenn ich die Wahrheit (damals als Kind oder nun als Erwachsene) erzähle, dann begehe ich einen Vertrauensbruch oder bin eine Petze oder Geheimnisverräterin. Wenn ich sage, ich wüßte von nichts, ist das auch gelogen. Also würde nur eine Amnesie helfen – eine partielle am besten …

Diesen Satz “Frag mich nicht – ich müßte sonst lügen” erzählte ich in meinen Dreißigern einem Freund und der meinte paar Jahre später, dieser Satz wäre perfekt in seiner Ehe. Denn entweder würde seine Frau daraufhin nicht mehr weiterfragen, wo er denn gewesen wäre – oder aber er hätte bei ihren weiteren Fragen das Recht, sie zu belügen … es wäre IHRE Entscheidung. Daran hatte ich längere Zeit zu knabbern; seine Ehe wurde mittlerweile geschieden und unsere Freundschaft gibt’s auch nicht mehr. Fragt mich also nicht.

© P-Hildegardsen 2021-01-03

Hashtags