Früher

Evelyn Weyhe

von Evelyn Weyhe

Story

Wo sind sie hin, die Zeiten, in denen das Reisen nicht nur den Reiz des Abenteuers hatte, sondern auch einen gewissen Luxus beinhaltete, der selbst in der Touristenklasse zu spüren war. Ich erinnere mich, dass mein Bruder immer großen Wert darauf legte, „ordentlich“ gekleidet zu sein, wenn er ein Flugzeug bestieg. Bei ihm war das Jackett und Schlips, meine Schwägerin trug ein Kostüm oder Hosenanzug, weiße Bluse, dezente Pumps, die Haare immer ordentlich frisiert. Sie sah wie eine Stewardess aus, mein Bruder mit seinem ledernen Pilotenkoffer wie der Pilot persönlich. Heute schlappt der Passagier im uncharmanten Einheits-Outfit ins Flugzeug. Man könnte meinen, alle hätten sich in ein und demselben Geschäft eingekleidet. Lieblingsfarbe schwarz, grau, beige. Ich fühle mich in meiner türkisfarbenen Jacke wie ein verirrter Schmetterling.

Vielleicht ist es meinem Alter zuzuschreiben, aber ich ertappe mich immer öfter dabei, alles was früher war, besser zu finden. Stimmt ja auch, entschuldige ich mich dann in Gedanken. Man könnte allerdings jetzt viele „Abers“ dagegenhalten, die sicher auch ihre Berechtigung hätten. ABER, das Reisen hat wirklich mehr Spaß gemacht. Fliegen ist eine familienunfreundliche Abzocke geworden. Die Preise werden, gerade während der Ferien, derart angehoben, dass nur mehr der Fahrradurlaub in Deutschland bleibt. Mehr Sitze, weniger Beinfreiheit, eingequetscht zwischen anderen Mitleidenden, kann man die englische Bezeichnung der Touristenklasse als „cattle class“ verstehen.

Gerade vor ein paar Tagen bin ich seit Covid das erste Mal wieder nach Deutschland geflogen. Mit einer Billigfluglinie. Heutzutage nimmt man sich ja ein Picknick mit an Bord. Hatte ich jedoch nicht. Die Zeiten, wo freundliche Flugbegleiter durch die Kabine schwebten und eine warme Mahlzeit und ausgewählte Getränke kostenlos servierten, sind längst vorbei. Apropos freundlich: Leider hat auch diese Eigenschaft kaum noch Stellenwert. Hinter den Covid-Masken versteckt, muss noch nicht mal mehr gelächelt werden. Anfang der 70er Jahre war ich selbst Flugbegleiterin. Was wurden wir auf Charme und gute Aussprache gedrillt! Früher eben.

Die Ansage über den zu erwartenden Bord-Service erfolgt lieblos heruntergeleiert. Unmöglich zu verstehen, was sich da auf dem Wagen befindet, der gerade durch die Kabine geschoben wird. Ich bestelle ein Sandwich. Barzahlung und cash-card werden nicht akzeptiert. Meine Master Card irrt irgendwo zwischen Bank und Postadresse herum, so bin ich also plötzlich zahlungsunfähig. Ich erbettele mir ein Glas Wasser und fühle mich wie ein Penner. Muss ja heute mit *in geschrieben werden. Früher gab es das auch nicht. Ja, früher eben!

Früher konnte man aber auch nicht gleich nach Ankunft ein Selfie mit Untertitel „Gut angekommen“ posten, oder mit seinem QR Code Ticket in den Zug steigen. Und von unterwegs ein Foto von dem unglaublich schönen Herbstwald schicken. Ja, früher! Smiley!

© Evelyn Weyhe 2021-11-01

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