Für konventionellere Menschen ändert sich das Leben mit einem Studienabschluss, einem Hochzeitsantrag, der Zusage zum Traumjob oder der Geburt eines Kindes. Für mich, einen sensiblen halbgriechischen Golden Girls-Fan, änderte es sich, als ich die Haare meines Papas wusch. Enttäuschend, dass es dafür keine Glückwunschkarte gibt. Aber das bin ich schon gewohnt, es gab für meinen Namen ja auch nie Schlüsselanhänger. Dimitrios steht höchstens auf Schürzen von Souvlakibudeninhabern. „Kannst du mir bitte die Haare waschen?“, fragte er mich eines Tages plötzlich mit den Augen eines zurückgelassenen Labradors. Wir saßen in unserem üblichen Schweigen auf unserer vollgerümpelten Veranda mitten im konservativen griechischen Dorf, im 90er-Jahre-Röhrenfernseher lief irgendeine gescriptete Dokutainment-Show über Frauen, die ihre Männer umbrachten. Wie sehr ich den griechischen Frauen doch ihren Eskapismus gönnte.
Einen seiner Arme hatte mein Vater schon in seiner Jugend verletzt, als er durch eine Glastür fiel, und den anderen vor kurzem in einer Macho-Schlägerei auf der Strandpromenade, was in mir konstantes innerliches Schmunzeln auslöste, das zu unterdrücken meine Schlaganfallgefahr signifikant steigerte. Man sollte wissen: Während Gott (oder wer auch immer) Testosteron über meinen Vater und meine Brüder geschüttet hatte, streute eine fabelhafte Katze Glitzer über mich, gemeinhin bekannt als Gegengift gegen Machotum. Also schäumte ich nun inmitten angeknackster Fliesen über der Badewanne die immer noch tiefschwarz-dichte Haarpracht meines Papas ein, natürlich mit einem herben All-in-One-Mittel, das Duschgel, Shampoo, Gesichtsreinigung und sicher auch Medikament gegen einige landläufige Krankheiten war. Passt der Druck so, fragte ich zwischendrin, weil man das halt so macht. Ansonsten Schweigen, Haarwaschsmalltalk lag mir offenbar nicht. Es war aber auch irgendwie überfordernd, wie intim sich das anfühlte. Seit der Scheidung meiner Eltern vor Ewigkeiten sah ich meinen Papa einmal im Jahr für ein paar Wochen, da kam es höchstens zu einer Handvoll Umarmungen, wenn überhaupt. Jetzt massierte ich hier seinen Schädel, weil er mit seinen Armen hilflos und ich eben da war.
Zurück auf der Veranda schwiegen wir weiter. Bis er sich plötzlich langsam zu mir drehte, ausatmete und sagte: „Ich akzeptiere, dass du schwul bist. Dass du einen Freund hast. Es ist nicht einfach für mich und ich brauche nach wie vor Zeit, aber ich will, dass du das weißt.“ Ungefähr so musste es sich anfühlen, überraschend angeschossen zu werden. Bei beschleunigendem Herzschlag zog mein Leben an meinen Augen vorbei – sein scharfes, in Enttäuschung getränktes „Meine größte Hoffnung ist, dass du dich irgendwann änderst“ nach meinem Outing, die folgenden 1½ Jahre Funkstille, aber vor allem die hilflose Sehnsucht nach der Liebe eines Vaters trotz dieser einen Sache, die ich eben nicht ändern konnte oder wollte; ekelhaft, diese Klischeehaftigkeit. Aber jetzt saß ich hier als einziger seiner drei Söhne und wusch ihm die Haare. Ein paar Mal öffnete ich meinen Mund, um etwas zu sagen, aber es kam nichts raus.
Im Fernsehen brachte wieder eine Frau ihren Mann um, und ich erwischte mich dabei, zu denken, sie hätte ihm ruhig ein klein wenig länger die Chance geben können, sich zu ändern.
© Dimitrios Meletis 2023-08-20