von Klaus Rafenstein
Zum vierten Mal hier. Zum vierten Mal catcht mich Hamburg nicht. “Oh, der schöne Hafen” klingen die Freudenrufe der Hamburgfans in der Heimat noch im Ohr. Durch meinen Augapfel sehe ich ein Industriegelände in dem es von Containern, Stahlkränen und Ölfässern wimmelt. Die Manchester Docks lassen grüßen. “Hamburg hat mehr Brücken als Amsterdam, Venedig & London zusammen” höre ich aus den Lautsprechern des Alsterkapitäns während der Rundfahrt. “Viel heißt nicht gleichzeitig schön” spricht mir der Familienvater am Nebenstuhl aus dem Herzen. Sie nennen sie liebevoll Elfi. Ich stehe beeindruckt vor ihr und staune. Warum einen Konzertsaal für prognostizierte 77 Millionen bauen, wenn man ihn auch für 866 Millionen errichten kann? Warum kleckern, wenn man klotzen kann? Jeder Gegend ihren Bauskandal. Den Schwaben ihr Stuttgart 21, den Berlinern ihren Flughafen, so haben die Hanseaten ihre Elbphilharmonie. Rüber über die Elbe: Die Schauspieler des 143,- Euro pro Karte letzte Reihe Musicals wären im Raimund Theater nach dem Vorsingen hochkant bis zum Wiener Gürtel hinausgeflogen, der weit weniger versieft ist als die vielbesungene Reeperbahn. Doch was tut man nicht alles für seinen Beruf, da nimmt man sogar enttäuschend verregnetes Hansestadt-Sightseeing als Kirsche am Coaching-Sahnehäubchen in Kauf. Doch dann endlich: Feierabend & Wochenende! Ab in den Zug nach Westerland. Meine Kopfhörer spielen mir das gleichnamige Lied der Ärzte. Es war unsere Gymnasium-Hymne. Nostalgie breitet sich in mir aus, ein zufriedenes Grinsen im Gesicht. Dann höre ich den Podcast “Wirkt Werbung?” Welch amüsante Frage, ähnlich wie: “Ist es Zufall, dass mit jeder zweiten Teenager-Hand liebevoll ein Coca Cola oder ein Red Bull gehalten wird? Das Thema Product Placement wird ausgeschlachtet. James Bond Filme wären ohne Aston Martin, Omega Uhren & Co nicht finanzierbar. Ich erfahre auch, warum David Hasselhoff und seine Nixen im roten Badeanzug regelmäßig in Zeitlupe zu sehen sind: beim Dreh war oft zu viel Filmzeit für zu wenig Produktionsbudget vorhanden, da waren die Zeitlupenaufnahmen willkommene Füller, ähnlich wie der Blattsalat im Griechischen. Die berauschende Musik brachte die unbändige Malibu-Emotion dazu. Während ich diesem unnützen Wissen lausche, zieht die nieselige Landschaft von Schleswig-Holstein an der nassen Glasscheibe vorüber. Aus den klapprigen Regionalzug-Lautsprechern tönen lediglich Stations-Ansagen, keine berauschende Beach-Musik. Man erkennt es am Gesichtsausdruck meiner Mitreisenden. Emotion ist Mangelware, bekanntes Phänomen in diesen Breiten. Als wir auf Sylt aussteigen, neigen sich die Mundwinkel noch weiter Richtung Süden: Eisiger Wind! Die Regentropfen jagen horizontal auf uns zu. Regenjacke, wo bist du?
Der nächste Morgen entschädigt. Mariettas Nordsee-Pikanterie-Fisch-Frühstück verzaubert den Gaumen. Die gesprächigen Verkäuferinnen in den Kashmir-Edel-Boutiquen versprühen kuschelige Gemütlichkeit und servieren kochenden Espresso. Nach getaner Shopperei ab zur Entspannung in die Strandsauna List. Sanddünen bewachen die wohlige Aufguss-Hitze, Millionen Grashalme biegen sich im rauhen Wind und das Wellengetose begleitet den freien Blick aufs Meer. Die Wunde heilt.
© Klaus Rafenstein 2024-04-06