Hetzendorf is down

KlaraFrühling

von KlaraFrühling

Story

Und nun auf senden drücken, denk ich mir. Die Maus wandert zum blauen Button und plötzlich – schwärzestes Schwarz. Kein Flimmern, kein Flackern. Nichts. Rund um mich herum ist es dämmrig geworden und mir wird klar: Licht weg, Strom weg, alles weg.

Ich geh aus meinem Refugium, der Schulbibliothek hinaus, und schau nach links und nach rechts. Niemand da. Der Gang ist leer. Schwaches Licht leuchtet von den großen Fenstern herein, doch es ist nicht genug, um die gesamte Aula zu erhellen. Ich checke die Lage bei den Klassen im Erdgeschoss. Stromausfall, sagt der Kollege. Nix geht mehr, denke ich. Die Kinder tappen nicht nur im Dunkeln, sie sitzen nun auch darin. Super. Da ich ohnehin meinen Dienst bereits beendet hatte, packe ich mich und meine sieben Sachen zusammen und verabschiede mich von den im Dämmerlicht sitzenden Kollegen im Lehrerzimmer. Natürlich renne ich kurz vor dem Schultor der nervösen Vize-Direktorin in die Arme, die ihrerseits dem Schulwart hinterherrennt. So nebenbei und über die Schulter ruft sie mir nach: Sie haben uns gewarnt! Jetzt ist es soweit. Alles tot.

Ich verlasse das Gebäude und schlendere langsam durch das herbstliche Laub. Die Sonne scheint und lässt die Baumkronen golden leuchten. Ein leichter Wind weht mir um die Nase und ja, heute ist ein Herbsttag, wie man sich ihn wünscht. Ein Verlangen nach Koffein steigt in mir auf und ich steuere auf die Bäckerei neben dem Schloss zu. Doch schon in der Tür bleibe ich ruckartig stehen und überblicke die Situation. Kaffee werde ich hier keinen bekommen, wird mir klar, da der Kaffeemaschine der Saft dazu fehlt. Die Kassiererin, mit Block und Blei bewaffnet, gibt ihr Bestes, den Laden am Laufen zu halten. Doch ich merke, dass sie die Situation leicht überfordert, denn nun sind Kopfrechnen und Kassieren im klassischen Sinne gefragt. Wenn heute die Abrechnung nicht passt, weiß ich, weshalb und warum. Mit leeren Händen zurück auf der Hauptstraße rast ein Bus an mir vorbei. Ein Blick bestätigt meinen Verdacht: Auch die Ampel ist schwarz. Nichts geht mehr. Ich dreh mich einmal im Kreis und da geht mir ein Licht auf. Die wenigen Auslagen, die es gibt, sind nicht beleuchtet und die Anzeige bei der Bimstation ist informationslos weil ausgefallen. Die Nahversorger weiter oben sind ebenfalls betroffen und hoffen, dass die Kühlung nicht zu lange ausfällt. Hetzendorf is down. Irgendwie bin ich froh, gestern Nachmittag noch ein wenig Bargeld aus dem Automaten gezogen zu haben.

Blackout – nichts geht mehr, alles ist tot. Die Zeit steht nicht still, doch trotzdem fühlt es sich an, als wäre die Hauptschlagader abgekapst. Auf einmal rasen Wägen der Wiener Netze mit Blaulicht die Hetzendorferstraße hoch und bleiben neben einer Feuerwehr stehen. Filmreif springen vereinzelt Männer aus dem Auto und verschwinden in einem Gebäude.

Ich steige in den Bus und verlasse das stromlose Viertel. Hätte ich den zwei Damen bei der Bimstation verklickern sollen, dass da länger keine Bim fahren wird?

© KlaraFrühling 2022-10-05

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