II. Verlockende Pralinen

Daniela Neuwirth

von Daniela Neuwirth

Story

Die kleine Pralinenbox aus seiner Tasche liegt in Sekundenschnelle geöffnet am Schreibtisch und die erste Köstlichkeit hat es bereits bis an seinen Gaumen geschafft. „Die schmelzen zart auf der Zunge. Fast zu gut zum Hinunterschlucken“, kommentiert er seinen Genuss. Gina streckt die Hand nach vorne – der Pralinenschachtel entgegen. Langsam greift sie mit den Fingerspitzen an den Karton, zieht die Köstlichkeiten vorsichtig zu sich und blickt ihm tief in die Augen, um ernsthafter zu wirken.

„Ähm, ja, das stimmt wohl. Die sind sehr lecker, das finde ich auch. Aber eigentlich waren die für unser Lektorat bestimmt.“ Er schüttelt den Kopf, zieht die Schachtel wieder zu sich und tippt mit dem Zeigefinger auf die Oberseite. „Ne, da findest Du etwas anderes. Die bleiben genau hier.“ Er lacht und schiebt das Kuvert über den Tisch. „Soll ich?“, fragt Gina, als sie hingreift, um es zu öffnen. „Ja, klar. Mach es auf!“ Sie ist verwirrt.

„Ist das die neue Art, Aufträge auszuteilen? In farbigen Geschenkkuverts?“ Sie freut sich darüber, findet vielleicht das Farbige etwas zu väterlich. Sie ertappt sich dabei, ihr gemeinsames, aktionbepacktes Erlebnis auf der Insel noch nicht ganz vergessen zu haben, bzw. die Nähe, die dadurch entstanden ist, sogar ein wenig zu vermissen.

Seine herzlich-lockere Art macht es ihr gerade nicht so ganz einfach, sich wieder in den distanzierten Arbeitsalltag einzufinden. „Vielleicht muss ich das auch gar nicht?“ Die Redakteurin lässt ein paar Momente verstreichen, um sich darüber klar zu werden, wo dies alles hinführen soll. Die Neugier nimmt überhand. Sie ist zu wenig geduldig, um das Kuvert noch länger verschlossen zu lassen.

Er reicht ihr den silbern glänzenden Brieföffner mit hölzernem Griff. „Worauf wartest Du?“ Die metallische Spitze steckt bereits in einer winzigen Öffnung am Kuvertoberende und mit einem Ruck schlitzt sie mit der geschärften Silberkante die Oberseite auf. Gina legt den Brieföffner ab. Er lehnt sich vor und legt diesen korrekterweise wieder parallel zur ledernen Schreibunterlage an dessen Bestimmungsort.

Es ist eines der Designerteile, die in geraden Linien positioniert in seinem modern ausgestatteten Büro überall verteilt und gezielt blickefangend Augen und Geist der Eintretenden von ihrem eigentlichen Vorhaben, etwas Wichtiges mit ihm besprechen zu wollen, ablenken. Ein Hauch von Spannung macht sich breit. „Was das wohl sein wird?“ Sie zieht eine mit silbernen Ornamenten verzierte Karte aus dem länglichen Kuvert, dreht diese um.

Das Papier ist von edler Leinenqualität, auf dem sie nur mit einem sündteuren Montblanc-Füller und königsblauer Tinte schreiben würde. Ihre Fingerspitzen streichen über die Oberseite mit Relief. Er beobachtet ihre Reaktion, wie Eltern ihre Kinder, wenn sie diesen eine Freude machen und sich erwarten, damit im Herzen angesteckt zu werden. Gina hat gerade ganz und gar nicht das Gefühl, es handle sich um eine berufliche Angelegenheit.

© Daniela Neuwirth 2023-02-25

Hashtags