von Jamal Tuschick
UrsprĂŒnglich wollte ich den Lebenslauf der schwĂ€bischen Yogini Doris Steinbrecher nur schlaglichtartig beleuchten. Doch ratz meinte, sie wĂŒrde gern mehr ĂŒber Dorisâ ersten Liebhaber Binh erfahren. Das Interesse der Leserin haucht der Figur Leben ein. Es verĂ€ndert die Spielanordnung.
1972 erfĂŒllten amerikanische Einheiten in Vietnam âein Wochensoll an toten Feindenâ. Ermordete Kinder listeten sie als Vietkong, Doris las davon auf einer Wandzeitung im Jugendzentrum von MĂŒhlacker. Sie brannte darauf, mehr ĂŒber âdas Töten am FlieĂband eines verbrecherischen Kriegesâ zu erfahren. Â
Zur gleichen Zeit in QuáșŁng Trá» – aus diesem Krieg werden keine Erinnerungsvereine mit Pauken und Trompeten hervorgehen, dachte Staff Sergeant Amsterdam Vaughan. Es wird alles gleich vergessen oder fĂŒr immer Schande sein. Okra und Schwarzaugenbohnen – Amsterdam stammte aus einer Schwarzbrenner-Dynastie in Ferriday auf der Louisiana-Seite des Mississippis. Er dachte an einen Technicolor-Rausch der 1950er Jahre mit John Wayne an Deck eines FlugzeugtrĂ€gers vor einer zerschossenen KĂŒstenlinie und unter einem Himmel voller Leuchtspuren und Kamikaze-Piloten auf Speed. Neben Amsterdam rastete Binh VÄn HÆ°ÆĄng. Der Second Lieutenant öffnete ein Auge. Feuerschiffe strichen ĂŒber Wipfel, ihre FlĂŒgel segelten. Feuerschiffe – fliegende Kanonenboote – Gunships. Die Gunships rasierten einen Dschungelsaum und schossen BĂ€ume zu Fetzen. WĂ€hrend der Tet-Offensive war Amsterdam von Splittern einer Claymore-Mine getroffen worden. Man hatte ihn in Japan zusammengeflickt.  Â
Viele blieben im Dreck liegen. Binh hatte Trooper erlebt, die vor Erschöpfung schwachsinnig geworden waren. Manchen MĂ€nnern fehlte die Kraft, sich eine Fliege von der Nase zu wedeln. Â
Ein Maschinengewehr sang sein Lied. MĂ€nner rutschten wie losgelassene Puppen zurĂŒck in ihre Löcher, die Feuerschiffe drehten ab. Ein amerikanischer Lieutenant fiel auf die Knie, er sah verĂ€rgert aus. Amsterdam sagte: âScheint kein Spiel fĂŒr höhere Chargen zu sein.â
 Eine innere Sonnenfinsternis verdĂŒstert Doris zum Ausklang der 1970er Jahre. In ihrer Ursprungsumgebung entdeckt sie nur Enge und Tristesse. Im Anschluss an einen Familienkrach zieht sie Knall auf Fall von Ă⊠an der Enz nach Frankfurt am Main. Am Tag ihrer Ankunft findet sie ein strahlend helles, unĂŒblich groĂes Zimmer in einer Wohngemeinschaft. In der ersten Nacht wird Doris zur Geliebten des löwenmĂ€hnigen Philosophiedozenten Wolf von Löwenstein. Vor Ablauf ihrer ersten Frankfurter Woche steht Binh auf der Matte und belĂ€chelt Wolfs schĂ€umenden Herrschaftsanspruch. Im Ornat magischer Gewissheiten nimmt Binh seinen Platz ein. Er liebt Doris unter ihrem persönlichen Himmel aus durchhĂ€ngenden TĂŒchern, wĂ€hrend in der KĂŒche die Genossen streiten. Melodien der Angst untermalen ihre Gereiztheit. In manchen Wohngemeinschaften sind die TĂŒren ausgehĂ€ngt, das kommt fĂŒr Doris nicht in Frage. Ihr selbstbewusster Orgasmus lĂ€sst die Wohngemeinschaft aufhorchen, man guckt, wie Wolf es aufnimmt.
© Jamal Tuschick 2024-05-14