Jährlich zweimal Geburtstag feiern?

Klaus Schedler

von Klaus Schedler

Story

Es gibt Fragen, die leicht gestellt, aber kaum zu beantworten sind. Mir ging es so, als ich behauptete nach dem chinesischen Kalender zwei Geburtstage zu haben. „Wie das?“ so die Frage. „Nun, das kommt daher, weil in China manche Monate im Jahr zweimal vorkommen können.“ Geboren am 15. Juli 1952 bin ich nach chinesischer Zeitrechnung im Jahr Ren-chen, also dem Jahr des Wasser-Drachen im Xiǎoshǔ, am 24 Tag des 5. Mondmonats geboren. Dieser Monat war, wie im Lunisolarkalender üblich, nach dem ersten 5. Mondmonat als namensgleicher Schaltmonat eingeschoben worden. Somit gab es in diesem Jahr dasselbe „chinesische Datum“ bereits am 16. Juni unserer Zeitrechnung. Daher könnte ich also jährlich zweimal Geburtstag feiern.

An dieser Erklärung mögen manche Zeitgenossen ebenso verzweifeln, wie sie verständnislos reagieren, wenn sie bei Lewis Carrol mit Alice auf ihrer Reise durchs Wunderland erfahren, wie der verrückte Hutmacher und der Schlapphase einen Nicht-Geburtstag feiern können.

Doch bevor sich meine Gedanken vollkommen in Absurdistan auflösen: Es gibt diesen Chinesischen Lunisolarkalender tatsächlich und er ist nicht nur unvorstellbar alt, sondern auch genial, wenn es darum geht, die für uns wichtigsten Gestirne in einer Zeitrechnung zu kombinieren: Dort, wo wir in der biblischen Überlieferung im 104. Psalm den eher vagen Hinweis finden, dass Gott „den Mond gemacht hat, um das Jahr darnach zu teilen“, sind die alten Chinesen möglicherweise flotter unterwegs gewesen.

Je mehr ich mich mit diesem Kalender befasst habe, umso tiefer war mein Eindruck: Ich hatte gehofft einen Algorithmus entwickeln zu können, mit dem es möglich wäre, unsere gregorianische in chinesische Kalenderdaten umzurechnen. Meine Ergebnisse waren jedoch deshalb nicht zufriedenstellend, weil Mond und Erde auf ihren Bahnen bei weitem nicht so exakt „ticken“, wie wir das gerne hätten.

Wie aber kommt man zu einer Lösung? Da die Briten nach meiner Vorstellung eine liebenswerte Schwäche für Schrulliges haben, startete ich die Recherche bei „Her Majesty’s Nautical Almanac Office“ Von dort war es kein weiter Weg zur Homepage des „Hong Kong Observatory“, einer Stern- und Wetterwarte. Wohl auch im Sinne der britischen Tradition verfügt man dort über eine Online-Datenbank, in der für jedes Jahr von 1901 bis 2100 jeweils eine Tabelle zur Umwandlung von chinesischen und gregorianischen Kalenderdaten gelistet ist. Toll, was die Chinesen alles machen!

Und da wir schon bei der Zeit sind: Auch unsere Zeiteinteilung hat längst nichts mehr mit der Dauer eines Tages zu tun. „Zu unsicher“ meint die Wissenschaft und seit 2019 heißt es daher, die Sekunde ist „… das Vielfache der Periodendauer der Strahlung, die dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids Cs entspricht.“ Keine Ahnung, was das soll. Auch fand ich den Bezug auf Tag und Erdrotation nicht nur anschaulicher, sondern viel hübscher.

© Klaus Schedler 2020-06-13

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