Jäger, Enten und Gänse mitten in Wien

Klaus Schedler

von Klaus Schedler

Story

Heute Morgen wollte ich im Waldviertel zum Gottesdienst in die Bezirkshauptstadt fahren, als ich bei Öffnen des Garagentors zusammenzuckte. Ein Schuss, noch dazu in unmittelbarer Nähe, gefolgt von mehreren weiteren, lauten „Patsch“, „Patsch-Patsch“. Und dann sah ich den Schwarm Enten, die aufgeregt vom Bach aufflatterten. Klar, jetzt vor Beginn der Schonzeit konnte noch geschossen werden. Wenig später grüßte ich im Vorbeifahren den Nachbarn, wie er mit der Schrotflinte am Bach entlang ging. Zwar mag ich unsere Enten gern, ich mag aber auch gern hier und da eine gebratene Ente und überdies gehört die Jagd ja zur nachhaltigen Pflege eines gesunden Wildbestandes. Sei’s also drum!

Wie ich so weiterfuhr, erinnerte ich mich an meine Studentenzeit Mitte der 70er Jahre. Ich wohnte damals in Wien Neubau und meine Freundin in Simmering. Oft nahm ich also die Straßenbahn der Linie 18 Richtung Schlachthausgasse und ab dem Rennweg dann den 71er zum Zentralfriedhof. Wirklich einladend waren die Namen der Endstellen wohl kaum. Eigentlich könnten da einem unterwegs sogar alle leidenschaftlichen Regungen verloren gehen. Was jedoch die Jagdleidenschaft anbelangt, gab es unterwegs anheimelnd klingende Haltestellen. Ich bin kein Jäger und meine Vorstellungen von der Jagd sind bis heute allesamt eher romantisch verklärt. Besonders hatte es mir die Gegend nach dem Südbahnhof angetan, gab es dort doch eine Fasangasse, einen Wildgansplatz und mitten drin eine Jägerstraße. Scheinbar also erstaunlich viel Waidwerk und das mitten in der Stadt!

All das stelle sich später als Illusion heraus, denn das Fasanviertel hat seinen Namen vom dort einst befindlichen Bierhaus „Zum Fasandl“, die Wildgänse gibt es nicht, sondern besagter Platz ist nach dem 1932 verstorbenen österreichischen Lyriker und Dramatiker Anton Wildgans benannt. Der Jäger schließlich ist das Ergebnis meines Hörfehlers: Tatsächlich gab es dort früher die Haltestelle Ghegastraße und die hat ihren Namen von Carl Ritter von Ghega, dem Erbauer der Semmeringbahn.

Mit heutigem Tag haben meine liebe Ehefrau und ich Corona-bedingt einander schon seit mehr als 6 Wochen nicht mehr gesehen. Sie lebt in Wien und ich im Waldviertel und alle Besuche sind gestrichen. Als ich zuletzt in Wien war, hatte sie für uns zwei anstelle des stornierten Martini-Gansels für die Familie eine Ente gebraten. Freilich wird viel telefoniert und Bilder werden ausgetauscht. Auch mit den Kindern und den Enkerln, doch mehr darf nicht sein.

So wie es jetzt aussieht, werde ich heuer seit mehr als 40 Jahren erstmalig die Weihnachtsfeiertage allein verbringen. Doch genauso, wie unsere Beziehung zu Anfang gegenüber Begriffen wie „Schlachthausgasse“ und „Zentralfriedhof“ immun war, ist sie auch jetzt so gefestigt, dass ihr auch Corona und Covid-19 nichts Anhaben können. Und spätestens zu Martini 2021 werden wir wieder ein Gansel-Essen im Kreis unserer Familie haben. Bestimmt!

© Klaus Schedler 2020-12-13