Im Spätherbst 1998 hatte Leonie wieder einmal an einen Kandidaten aus der Sendung „Wer mit wem?“ geschrieben. Bei seinem Auftritt hatte sie eigentlich wirklich nur gehört, dass er sich sehr für Astronomie interessiert, wie es bei ihr auch der Fall ist. Es gab mehrere Briefwechsel. Sie war unter den ca. 16 Zuschriften seine Favoritin gewesen, wie er ihr schrieb. Die Konstellation der Tierkreiszeichen stimmte. Sie war Jahre zuvor in der näheren Umgebung seines Wohnortes gewesen. Wenige Tage vor Weihnachten 1998 gab es ein Treffen in der Landeshauptstadt. Er hatte auf sie gewartet, obwohl ihr Zug sehr viel später als geplant angekommen war. Sie hatte gar nicht mehr damit gerechnet, dass er noch am Treffpunkt ist. Sie gingen Hand in Hand den Weg vom Hauptbahnhof zum Striezelmarkt und in ein Restaurant zum Mittagessen. Es wurde über dies und das geredet. Leider hatte sie nicht besonders viel Zeit, da die Rückfahrt mit der Bahn ähnlich ungewiss war wie die Herfahrt am Vormittag. Als sie glücklich wieder in ihrem Heimatort gelandet war, rief sie ihn an. Er war nur über Mobiltelefon erreichbar. Ein Festnetzanschluss lohnte sich für ihn nicht, da er viel unterwegs war, auch beruflich von Baustelle zu Baustelle. Eine Woche vorher hatte er (V.) trotz extremer Straßenbedingungen (Glätte, Nebel, Schnee) bereits eine weitere „Kandidatin“ in M. aufgesucht. Wenige Tage nach Weihnachten besuchte V. Leonie in ihrer Wohnung. Er hatte sie auf der Anreise mehrfach angerufen. Sie musste ihn telefonisch „lotsen“, damit er den richtigen Weg zu ihrem Heimatort fand. In F. kehrten sie dann gemeinsam in einem Lokal gegenüber von Leonies Wohnhaus ein. Er übernachtete auch in der dort angeschlossenen Pension, nachdem sie am Nachmittag eine kleine Rundfahrt durch die nähere Umgebung mit Leonies Auto unternommen, lange geredet und von ihm selbst aufgezeichnete naturwissenschaftliche Videofilme gesehen hatten. Auch den kommenden Tag verlebten sie bis zum frühen Nachmittag gemeinsam. Sie sahen weitere Filme und gingen noch einmal zusammen zum Mittagessen. Als er fahren musste, war Leonie unsäglich traurig. Sie hatte vor allem geglaubt, dass er seine Entscheidung nun schon getroffen habe, als er ihr am Telefon erzählte, dass er in den nächsten Tagen noch zwei Damen treffen wolle. Er könne sich so schwer entscheiden und wolle niemand wehtun. Sie hoffte dennoch, sie habe ihn überzeugen können. Bis ins neue Jahr hinein hatte er noch Urlaub. Ihr letzter freier Tag hingegen war dann angebrochen. Sie wollte Gewissheit haben und rief noch einmal an. Es täte ihm so Leid, er wüsste nicht, wie er das sagen solle. Eine andere Dame, die ihm geschrieben hatte, habe er bereits geküsst, es werde wohl darauf hinauslaufen, dass er Leonie absagen müsse. Sie hatte zu ihm auf eine entsprechende Frage gesagt, sie werde es nun wohl nie wieder versuchen, über eine Anzeige einen Partner zu finden. Andere Möglichkeiten schieden für sie ohnehin aus. Für Leonie brach eine Welt zusammen. Mitten im Gespräch legte sie den Telefonhörer auf die Gabel. Die richtigen Worte fehlten ihr in dem Moment. Sie hätte V. sonst wahrscheinlich beschimpft. Wenige Tage später kam sein letzter Brief an sie. Ihr Foto lag darin. Er sei sich so schlecht vorgekommen, als sie bei ihrem letzten Anruf aufgelegt habe.
© Annemarie Baumgarten 2024-09-23