Kindheitstrauma

Kristina Pyrlik

von Kristina Pyrlik

Story

Eigentlich hatte ich eine schöne Kindheit. Ein behütetes Leben auf dem Dorf mit meinen geliebten Eltern in einem schönen Haus mit riesigem Garten. Ein treuer Hund, ein schwarzer Kater und ein Haufen Hühner waren meine Begleiter bei meinen täglichen Abenteuern. Jeden Tag kletterte ich auf Bäume, tobte herum oder schaukelte so hoch ich konnte.

Bis sich eines Tages meine Eltern trennten. Für mich kam das völlig unerwartet, da ich nie einen Streit oder eine lautstarke Auseinandersetzung mitbekommen hatte. Mit sieben Jahren brach meine heile Welt zusammen. Meine Mutter zog aus, mein Vater behielt vorerst das Haus. Schließlich mussten wir unseren Hund abgeben, weil niemand mehr genug Zeit für ihn hatte. Ich wechselte alle ein bis zwei Wochen zwischen der Wohnung meiner Mutter und dem Haus meines Vaters hin und her, fühlte mich heimatlos.

Irgendwann lernten meine Eltern neue Partner kennen, die ich nur schwer akzeptieren konnte. Besonders schwierig war es, wenn die Partner Kinder in meinem Alter hatten. Streitereien, Lügen, Neid und Ungerechtigkeiten machten mir das Leben schwer.

Ich wünschte mir oft, dass alles wieder so werden sollte, wie es einst war. Ein sorgenfreies Leben mit beiden Eltern in meinem geliebten Zuhause. Aber es wurde noch viel komplizierter.

Als ich neun war, wanderte mein Vater mit seiner damaligen Freundin in die Schweiz aus. Ungefähr 1000 km trennten uns nun voneinander. Etwa zur gleichen Zeit zog meine Mutter mit ihrem Freund zusammen. Ich hatte die Wahl – mit meinem Vater in die Schweiz oder mit meiner Mutter zu ihrem Freund ziehen. Ich entschied mich, bei meiner Mutter zu bleiben, da ich so wenigstens auf meiner Schule bleiben konnte und meine Freunde noch sehen konnte. Trotzdem war das alles sehr befremdlich für mich.

Meinen Vater besuchte ich jedes Jahr in den Ferien. Auch wenn es schön war, Ostern und Weihnachten zweimal im Jahr feiern zu dürfen, hatte ich lange Zeit keine Freude an der Situation. Ich aß aus Frust und bewegte mich weniger, hockte meist in meinem Zimmer und spielte Computerspiele. Ich nahm an Gewicht zu, fühlte mich immer unwohler in meinem Körper, aber hatte auch keinen Antrieb, etwas zu ändern. Als Teenager machte ich oft Party, trank zu viel, ließ mich auf die falschen Leute ein, versuchte die Leere in meinem Herzen zu füllen. Ich fing an zu rauchen, ließ mich in der Schule dabei erwischen, schwänzte ein paar Tage, bekam eine Androhung auf einen Verweis. Ich weiß noch, wie meine Klassenlehrerin mir damals prophezeite: “Das ist der erste Schritt in die kriminelle Laufbahn.”

Heute kann ich über diese Dinge lachen, denn ich habe mittlerweile meinen Bachelor-Abschluss in der Tasche und bin keine Kriminelle geworden. Ich bin von Leuten umgeben, die mir guttun und fühle mich so gesund, glücklich und dankbar wie nie zuvor.

Auch wenn meine Vergangenheit sehr schmerzhaft war, würde ich sie nicht ändern wollen, denn schließlich hat sie mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.

© Kristina Pyrlik 2021-05-12

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Romane & Erzählungen
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