von Tamara Nessler
Die Stadt liegt unter einem Schleier von Dämmerlicht, während ich mir einen Weg durch die Straßen bahne. Vorbei an lachenden Bengeln, die der Wirtin einen Streich spielen. Den Weg mit dem Bettler kreuzend, der humpelt, obschon er zu gehen vermögen würde. Da erblicke ich schließlich mein Ziel. Ein Gasthof mit einer Bierschänke, die ich heute mein Heim nennen würde. Kaum ist die gemächliche Stube betreten, verstummt das Gejohle darin.
„Dich will hier niemand Assassine, verpiss dich!“, ruft es aus den hinteren Bänken. Langsam drehe ich den Kopf in die Richtung, aus dem der Vorstoß kam. Gleichzeitig hebe ich meine Hand und wie auf Kommando schießen Schatten aus dem Boden. Schwaden aus Dunkelheit schwirren umher und hüllen das Lokal zunehmend in absolute Schwärze. Es herrscht Totenstille. Der Barde ist verstummt, die Mägde, welche die Bierkrüge befüllen, wagen es kaum, zu atmen. Schließlich lasse ich die Hand mit einer raschen Bewegung fallen und im Handumdrehen verschwinden die Schatten. Zaghaft setzen die Gespräche wieder ein und ich gehe auf den Tresen zu.
„Zwei Nächte und ein Bier, ich bezahle im Voraus“, sage ich zur Magd vor mir. Nickend greift sie zu einem Humpen und befüllt ihn mit einer goldfarben, schäumenden Flüssigkeit, die des Namens Bier unwürdig ist. „250 Kronen“, flüstert sie kaum hörbar. Ich werfe einen Beutel mit Gold auf den Tresen und sie zuckt zusammen beim Aufprall der klirrenden Münzen auf dem fahlen Holz.
„Kael, welch eine Überraschung!“, säuselt eine hohe Stimme aus dem düsteren Teil der Schänke. Eine Gestalt bewegt sich in meine Richtung. Anmutig, wie eine Katze stolziert die Dame auf uns zu. Als das flackernde Kerzenlicht ihr bildschönes, makelloses Gesicht erfasst, erkenne ich sie.
„Amalia, wie viele Monde sind vergangen, seit es mir erlaubt war dein bezauberndes Antlitz in dieser widerlichen Stadt zu sehen?“, erwidere ich mit einem Grinsen auf den Lippen. Das Leben eines Assassinen führt stetig von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf und von Königreich zu Königreich. Zumeist, schätzt meine Gesellschaft bloß derjenige, der mich anheuert und bezahlt. Der Rest fürchtet sich und erträgt mich nur ungern. Es gibt jedoch Ausnahmen, Amalia ist eine dieser erfreulichen Besonderheiten.
„Zu viele! Was treibt dich nach Nigraeth, oder sollte ich besser sagen wer? Gibt es Anlass zur Sorge?“, entgegnet sie mir mit einem amüsierten Gesichtsausdruck. „Kommt darauf an, hast du deine Kunden allweil mit den richtigen Tränken versorgt oder hast du womöglich einige vertauscht?“, spotte ich zurück, meinen Blick auf ihre leuchtenden, violetten Augen gerichtet. Sie zieht eine Augenbraue nach oben, dreht sich von mir weg und schlendert wieder in die düstere Ecke der Schänke, aus der sie gekommen war.
„Kommst du?“, fordert sie. Die Hand in ihrer Taille abgestützt, als hätte sie bereits Stunden gewartet. „Dieser Besuch entwickelt sich erfreulicher als erwartet“, murmle ich und schütte den Humpen Bier in mich hinein. Anschließend folge ich der Magierin in Richtung Zimmer.
© Tamara Nessler 2023-08-30