Lebenszeit

Katharina Müller

von Katharina Müller

Story

Es gibt für mich keinen offensichtlichen Grund, weshalb ich mich einsam fühlen sollte. Ich habe das Glück mein Leben mit einem wunderbaren Menschen teilen zu dürfen und verbringe meine Zeit mit guten Freunden, bei denen ich das Gefühl, am richtigen Platz zu sein. Doch wenn ich so über meinen Sinn im Leben nachdenke, was ich auch schon in der Klinik tun sollte, sehe ich das immer noch recht nüchtern. Ich bin auf der Welt, um die Spezies Mensch fortzuführen und da es schon mindestens 6 Milliarden zu viel davon gibt, ist es unwichtig, ob ich meinen Teil dazu beitrage oder nicht. Ich warte also nur darauf, bis meine Zeit abgelaufen ist und wenn sie das ist, werden sich vielleicht ein paar Menschen an mich erinnern. Doch irgendwann ist auch deren Zeit abgelaufen und niemand weiß mehr, dass ich da war.

Nüchtern sehe ich daher auch die Art, wie ich diese Zeit bis zum Ende gestalte. Denn Fakt ist, ganz egal wie ich sie verbringe, sie wird früher oder später ablaufen. Egal ob ich arm oder reich war, egal ob ich das gemacht habe, was ich wollte, oder das was andere wollten, egal ob ich meine Zeit sinnvoll genutzt oder sie verschwendet habe. Am Ende macht es keinen Unterschied, denn danach kommt nichts außer Dunkelheit. Vielleicht fühle ich mich deshalb einsam. Weil ich weiß, wie die Geschichte enden wird und es mir deshalb sinnlos vorkommt, die Geschichte dennoch weiterzulesen.

So habe ich lange Zeit gedacht und so wurde meine Welt dunkler und dunkler. Und so habe ich es mir lange Zeit sehr einfach gemacht. Denn wenn ich keinen Sinn sehe, warum soll ich dann einen suchen? Oder wenn es irgendwann zu Ende geht und es egal ist, ob ich die Zeit bis dahin sinnvoll verbringe oder verschwendet habe, kann ich sie doch auch so verbringen, wie es sich für mich am besten anfühlt, oder? Wenn es keinen Unterschied macht, ob ich etwas tue, weil ich es will oder was jemand anderes will, dann kann ich doch auch tun, was ich will, oder? Und wenn es keinen Unterschied macht, ob ich arm oder reich bin, dann kann ich doch selbst entscheiden, ob ich arm an Egoismus und reich an Selbstliebe sein will, ob ich arm an Bitterkeit und reich an Gutmütigkeit sein will, ob ich arm an Einsamkeit und reich an Liebe sein will, ob ich arm an Dunkelheit und reich an Licht sein will, oder?

Unabhängig davon, ob sich jemand an mich erinnert oder nicht. Denn ich lebe dieses Leben für mich. Es ist meine Lebenszeit, die es sich für mich zu leben lohnt.

© Katharina Müller 2023-10-10

Genres
Lebenshilfe
Stimmung
Hoffnungsvoll