Löffelerbsen und Schrippen

Jökull

von Jökull

Story

Während meines Studiums neigten viele Professoren dazu, vom Thema der Vorlesung ins Private abzuschweifen. Ein Professor erzählte in seinen Vorlesungen gerne von seiner eigenen Studienzeit an der Technischen Universität Berlin. Deren Campus liegt nördlich des Bahnhofs Zoo zwischen Hardenbergstraße und Landwehrkanal, begrenzt von Ernst-Reuter-Platz und Tiergarten und durchschnitten von der Straße des 17. Juni, die vor dem Krieg Berliner Straße bzw. Charlottenburger Chaussee hieß.

Für das leibliche Wohl der Studenten war die Mensa die erste Anlaufstelle. Für den kulinarischen Tapetenwechsel gab es alternative Lokale in Reichweite der Universität. Eins davon, wenn nicht das einzige, war das Aschinger am Bahnhof Zoo. In der Joachimsthaler Straße, gleich neben der Bahnunterführung, residierte die Stehbierkneipe mit einer durchaus respektablen Speisekarte. Der Renner war die Erbsensuppe. Das Rezept kann man heute im Internet googeln. Früher gehörten Schinkenknochen und Speckschwarte unbedingt dazu. Für „Aschingers Löffelerbsen mit Einlage in Terrine“, den billigsten der vier Tagesrenner auf der Speisekarte, zahlten die Gäste 40 Pfennje. Der Clou war die Schrippe „à la discrétion“, die es gratis dazu gab. Natürlich ließen sich die Studenten nicht zweimal bitten und griffen zu, solange der Vorrat reichte. Der Vorrat an frischen Schrippen, wie das Brötchen in Berlin und anderen norddeutschen Regionen genannt wird, schien unerschöpflich. War der Korb leer, wurde sofort nachgefüllt. Zumindest wurde uns das glaubhaft versichert. Ganz oben auf der Speisekarte stand ein Holsteiner Schnitzel für 2,50 Mark. Ein helles Berliner Kindl gab es ab 10 Pfennig dazu.

In den 70er Jahren führte mich eine Exkursion nach West-Berlin. Wir gingen vom Bahnhof Zoo über den Kurfürstendamm zu unserer Unterkunft am Olivaer Platz. Gleich nach der ersten Ampel standen wir vor dem Aschinger. Wir gingen erst mal rein und bestellten jeder eine Erbsensuppe und ein Bier. Eine Schrippe gab es auch, aber nur noch eine. Die guten alten Zeiten waren wohl vorbei und das Publikum auch ein anderes.

Das Aschinger am Bahnhof Zoo lag etwas abseits der vielen anderen Stehbierhallen des Unternehmens. Diese befanden sich mehrfach rund um den Potsdamer Platz und den Alexanderplatz sowie in der Friedrichstraße, der Leipziger Straße und der Saarlandstraße. Hier kehrte man nach dem Theater gerne ein.

Nach dem Krieg wurden die überwiegend im Osten gelegenen Standorte und die Zentrale des zeitweilig größten Gastronomieunternehmens Europas enteignet und in die HO eingegliedert. Im Westen Berlins versuchte sich Aschinger mit einer Konditorei am Wittenbergplatz in der Nähe des KaDeWe. 1976 schloss die einzige verbliebene Filiale am Bahnhof Zoo. Nach der Wende versuchte man es noch einmal am Kudamm mit „Aschingers Historischem Braukeller“. Im Jahr 2000 war Schluss.

© Jökull 2022-02-23

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