von Franz Herzog
Wumm, wumm – dröhnen dumpfe Trommeltöne wie aus den Tiefen eines geheimnisvollen Universums. Tschinellen scheppern, als ob die harmonische Welt aus den Fugen geraten würde. Dazu gesellen sich schrill durchdringende Oboenklänge. Die ersten Tänzer betreten die Bühne. Auf dem Kopf tragen sie schreckliche Tiermasken in leuchtenden Farben, eine Echse, einen Stier und menschliche Totenköpfe. Das kleine Mönchsorchester gibt den monotonen Rhythmus vor, zu dem athletische junge Männer in ihren furchterregenden Masken stunden- und tagelang im Kreis tanzen. Sie springen dabei meterhoch und wirbeln herum, dass die grellgelben Brokatröcke in die Höhe fliegen. Barfuß stampfen sie auf den gepflasterten Hof des Dorfklosters. Damit kreisen sie die bösen Kräfte ein, die dann durch Guru Rinpoche getötet werden.
Das Himalayakönigreich Bhutan ist berühmt für seine buddhistischen Klosterfeste. Diese „Tsechus“ dauern mehrere Tage und im Mittelpunkt des Geschehens steht Guru Rinpoche. In Indien heißt er Padmasambawa, der aus dem Lotus Geborene. Er hat einst den Buddhismus nach Tibet gebracht. Die Maskentänzer stellen die acht verschiedenen Erscheinungsformen des Guru Rinpoche dar und verkünden den Sieg des Tibetischen Buddhismus über die Dämonen. Diese sollen aber auch den Menschen vor Augen führen, was sie nach schlechten Taten in der Hölle erwarten könnte.
Einer der wichtigsten Darsteller ist der Atsara, ein Spaßmacher, der die Menschen zwischen den Tänzen unterhält. Er bringt ein dreieckiges Holzgebilde mit, das das weibliche Geschlecht darstellen soll und einen riesigen Penis aus Holz, mit dem der Atsara herumfummelt. Für uns bei einem religiösen Fest etwas ungewöhnlich. Es heißt, dass der Spaßmacher den prüden Leuten die Scheu vor der Sexualität nehmen soll. Überdimensionale, künstlerisch ausgeführte Penismotive finden sich als Fruchtbarkeitssymbol auch an vielen Hauswänden.Jedenfalls ist der Atsara beim Publikum sehr beliebt und wird immer wieder angefeuert und beklatscht, wenn er umständlich seine Utensilien zusammenpackt und sie ihm wieder aus der Hand fallen. Darüber hinaus ist es noch seine Aufgabe, die Tänze zu kommentieren und dem Publikum zu erklären.
Ursprünglich sollen wir das Tsechu von Ura besuchen, doch es wird verschoben und wir sind sehr enttäuscht. Da ergibt sich vor einer Schule zufällig ein nettes Gespräch mit einem Mädchen, das uns für die nächsten Tage zum Tsechu in ihrem Heimatdorf einlädt. Hier sind wir abseits der Touristenroute die einzigen Ausländer und werden herzlich aufgenommen.
Besonders prachtvoll gewandet und Ehrfurcht gebietend betreten die Schwarzhutmagier die Tanzfläche. Sie reinigen den Platz des Tsechu symbolisch und verkünden den endgültigen Sieg über die Dämonen. Damit bereiten sie den Auftritt des Guru Rinpoche vor. So ist es das Ziel der Tsechus, den Glauben an Buddha zu bekräftigen, aber auch Freunde und Familie zu treffen und gemeinsam zu feiern.
© Franz Herzog 2021-03-31