Medium werden

Nach der Einweihung kam der Fall. Auf Raten. Ich landete in einer Ehe, die von Anfang an ein Irrtum war, und hatte zu tun, mich wieder zu befreien. Da hatte meine Intuition versagt. Ich ließ mich vom schönen Schein blenden. Der Rest: Stoff für einen Groschenroman. Ende mit Flucht, da er mich attackierte.

Aber Flucht wohin? Im Schockzustand erschien mir ein Hotelzimmer schrecklich. Da braucht man Menschen! Viele Kontakte in Wien waren seit meiner Heirat und Übersiedlung in den 23. Bezirk abgebrochen. Aber ein älteres Ehepaar wohnte im Nachbarbezirk. Wir waren uns bei einer spirituellen Veranstaltung über den Weg gelaufen. Ich hatte immer noch losen Kontakt.

Spontan gewährten sie mir für kurze Zeit Unterschlupf und rieten mir, zunächst meine Verletzungen ärztlich bestätigen zu lassen und meine Angelegenheiten zu ordnen. Ihre ruhige Art war Balsam für meine Seele.

Bei einem gemeinsamen Frühstück kam die Rede auf mein Hobby Sprachenlernen. Ich trug ihnen die erste Sure aus dem Koran vor.

Ihre Reaktion war sehr überraschend. Direktor Varga blickte zu seiner Frau. Diese nickte. “Wir haben soeben festgestellt, dass du eine besondere mediale Begabung hast. Daher möchte ich dich gerne in dieser Kunst ausbilden.”

Mich erfüllte kindlich-naive Freude darüber, dass das Universum auf mich nicht vergessen hatte, trotz meines armseligen Missgriffs, meine Partnerschaft betreffend. Ja, ich weiß, das Universum urteilt nicht. Damals war eben mein Selbstwertgefühl ordentlich angekratzt.

Zunächst übte ich, schon etwas vortrainiert durch Yoga und Meditieren, mein Ego zur Seite zu stellen, meine Gedanken ebenso. Auf die Kundgebung stimmte man sich im Gebet und mit sanfter Musik ein. Richtig Old Style, würde man heute sagen.

“Sind das nicht eigene Fantasien, die ich aufnehme und verbalisiere? Mischen sich da nicht meine eigenen Gedanken ein?” Herr Varga, der sich als Leiter eines medialen Kreises entpuppte, lächelte. “Das wirst du bald selbst unterscheiden können. Noch ein wenig Geduld!”

Ein Medium arbeitet ähnlich wie der Spieler eines Musikinstruments, erklärte mir Herr Varga. Schwingungen im Kopf, ob intuitiv empfangen oder Fantasie, werden vom Medium in Klang oder Sprache übersetzt. Dabei ist ein großer Wissens- und Wortschatz von Vorteil. Je besser ein Medium eine empfangene Botschaft zu übersetzen vermag, desto anschaulicher wir die Botschaft sein.

Herr Varga erzählte mir, dass er schon einige Halbtrance-Medien in dieser Weise ausgebildet habe und dass ich bald einigen davon begegnen würde, wenn ich möchte.

Es dauerte wirklich nicht lange. Schon wurde ich als neues Medium in einer geistwissenschaftlichen Sitzung, wie sich das nannte, vorgestellt. Was ich in dieser Runde erlebte, bewegt mich noch heute zutiefst. Damals war es nur eine neue Erfahrung, eine Entdeckungsreise in andere Welten, eine regelmäßige Verbindung mit dem Jenseits. Heute, nach Jahrzehnten, hat sich alles bestätigt, was ich damals erfuhr.