Mein Kyoto … mein Garten-Paradies

schellenbacher ferdinand

von schellenbacher ferdinand

Story

Frühling in Kyoto. Anfang April. Über dem Grün der Parks und Gärten der Stadt schweben weiße Wolken. Die Kronen der Kirschbäume in voller Blüte. Die ganze Stadt ist ein Garten. Ich gehe den Kanal entlang, der das Wasser vom Biwa-See in die Stadt bringt. Ich gehe oft hier. Wenn einem ein Ort sehr vertraut ist, sagen die Japaner: Das ist mein Garten. Ja, dieser Weg ist auch mein Garten. Besonders um diese Zeit. Da ist die ganze Stadt mein Garten. Der Weg ist von weiß und rosa blühenden Kirschbäumen gesäumt. Abgefallene Blütenblätter schmücken schon den Weg. Bald wird hier ein weiß-rosa Teppich sein. Die Sonne lacht – es ist paradiesisch. Aber ein Paradies, das man teilen muss. Mit Prozessionen von Touristen.

Ich lenke nun meine Schritte zu einem heimlicheren Paradies. Ein Stück den Berghang hinauf über dem Kanal liegt im Schatten von hohen alten Zedern und Zypressen ein kleiner, aber feiner Tempel. Kein Touristentempel. Heute ist hier aber Konzert. Am Eingang ziehe ich die Schuhe aus und gehe in Socken über die glänzend polierten, dunklen Zypressenbretter den Gang bis zur Haupthalle.

Die Schiebetüren zum Garten hin sind weit geöffnet. Die goldene Buddhastatue und die Heiligenstatuen blicken hinaus in den Garten. Auch die Besucher sollen das. Auf den Sitzkissen, die auf den Tatamimatten bereitgelegt sind. Ungewöhnlich, Buddha den Rücken zu kehren! Was da wohl kommt?

Wir hören nur das Plätschern der Quelle, die den Teich speist. Da tönt vom Garten her ganz hell und zart die liebliche Melodie einer Bambusflöte. Alles lauscht und schaut gebannt über den Teich hin. Der Teich ist das Herzstück des Gartens. Im Sommer blüht hier der Lotus auf dem spiegelnden Wasser, von Goldfischen umspielt. Plötzlich tritt hinter dem zinnoberroten Torbogen des Schreins am Hügel oberhalb des Teiches der Flötenspieler hervor. In weitem, weißen, wallenden Gewand spielt er in immer süßeren Tönen. Alle lauschen hingegeben. Die Melodie klingt, als käme sie von fernen Wäldern.

Auf einmal landet auf einem der Trittsteine durch den Teich ein Paar silberweißer Reiher. So zielgenau, wie sie gelandet waren, bleiben sie eng beisammen stehen. Ganz still hören sie der Melodie der Bambusflöte zu. Der Spieler bewegt sich im Spielen langsam weiter zum Teich hinab. Bleibt stehen, geht weiter. Die Reiher stehen, als wären sie zur Zierde aufgestellte Statuen. Gerade, als der Spieler unten am Teich ankommt, ist die Melodie zu Ende. Die beiden Reiher warten noch kurz, dann nicken sie mit ihren Köpfen wie zum Gruß. So plötzlich, wie sie gekommen waren, erheben sie sich in die Luft und entschwinden unseren staunenden Blicken.

Eine Mutter hatte ihre beiden kleinen Kinder auf die freien Plätze neben meinem gesetzt. Als sie kamen, zankten sie sich noch. Jetzt sitzen sie mit leuchtenden Augen ganz still und halten sich an den Händen. Ist das nicht das Paradies, zu sehen, wie sich in leuchtenden Kinderaugen das Glück über das Wunderbare und Unglaubliche offenbart?

© schellenbacher ferdinand 2021-04-03

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