von Marcel Szkucik
Jede Minute und Sekunde vergeht viel langsamer, wenn man Angst hat. Wasser lief in meine Beatmungsmaschine und meine Familie kam auf die Idee, dass man das Wasser vielleicht absaugen könnte. Seltsamerweise funktionierte die Beatmung danach wieder. In der Zeitung stand etwas wie: „Lebensbedrohlich erkrankter Junge in Not. Minuten entscheiden über Leben und Tod!“ Ich persönlich mag solche Sätze nicht, aber in der Zeitung verewigt zu werden, ist schon etwas Schönes. Noch heute habe ich den Zeitungsartikel irgendwo liegen und erinnere mich gerne daran. Es war das erste mal, dass ich einen richtigen Wolkenbruch erlebte. Ein paar Jahre später durfte ich mir wieder etwas wünschen. Diesmal konnten meine Familie und ich auf einem großen Schiff mitfahren. Das Schiff fuhr geradewegs nach Norden bis zur schwedischen Grenze. Am Anfang war jede Bewegung auf dem Schiff sehr ungewohnt. Der Platz auf dem Schiff ist etwas einschüchternd, wenn man nicht an enge Räume gewöhnt ist. Sobald man sich daran gewöhnt hat, ist es kinderleicht, sich an die Räumlichkeiten anzupassen. Für Leute, die seekrank werden, ist so eine Schiffsreise wahrscheinlich nichts. Obwohl wir nicht auf dem größten Schiff der Welt waren, hat mich die Größe beeindruckt. Im Vergleich zu so einem Giganten sind alle Menschen ganz klein. Die Aussicht von so einem Koloss ist atemberaubend und man hat das Gefühl, nie wieder an Land gehen zu müssen. Vor allem die Sonnenuntergänge und der darauf folgende Sonnenaufgang lassen einfach nur staunen. Den Blick auf den Horizont gerichtet, träumte ich vor mich hin, das Wasser türmte sich zu kleinen Wellen auf und bewegte sich ganz ruhig. Das Meer ließ mich für einen kurzen Moment vergessen und ich war frei. Das Schiff, auf dem wir fuhren, war auf den Namen Nils Holgerson getauft. Für den Zeitvertreib nutzte ich das gute, sonnige Wetter aus. Auf einem Schiff zu übernachten ist nicht so einfach. Trotzdem war es sehr interessant, das zu erleben und zu erfahren. Es geht viel zu schnell vorbei, wenn man eine schöne Zeit hat. Es gab Restaurants, Freizeitangebote. Man blieb einfach an Deck des Schiffes, falls einem langweilig war. Plötzlich fängt man an nachzudenken. Man versucht, sich in eine andere Zeit zu versetzen. Waren die Menschen anders gekleidet? Welche Politik hatte Einfluss? Wer reiste noch auf dem Schiff? Wohin fuhren sie? Dann vergesse ich schnell meine Probleme und Sorgen. Ich gerate schnell ins Grübeln. Mein Bewusstsein war und ist für mich ein Zufluchtsort. Ich beginne zu träumen. Ich denke mir Figuren und Geschichten aus. Manchmal male ich mir alternative Schicksale aus. Zur Anregung meiner Fantasie schaue ich mir gute Science Fiction Filme und Serien an. Ich liebe es auch, über Filme zu diskutieren und meine eigenen Theorien über Filme zu entwickeln. Man könnte sagen, dass ich aufgrund meiner Muskelatrophie versuche, die mir verbliebenen Ressourcen zu nutzen. Ich beobachte auch gerne Menschen und überlege, was sie denken, wohin sie gehen. Sogar mit wem sie gesprochen haben, mit wem sie befreundet sind usw. Man wundert sich, wie oft man mit seinen Vermutungen richtig liegt, wenn man sich nur ein bisschen konzentriert. Irgendwann habe ich auch die Meditation für mich entdeckt. Eine Weile schaue ich umher. Zu mancher Zeit schließe ich die Augen und höre zu. Durchaus kommt es vor, dass ich dabei manchmal einschlafe.
© Marcel Szkucik 2023-08-27