von Arbow
Die Sonne ist nicht einmal aufgegangen, und ich stehe in meinem Nachthemd vor meinem Spiegel; „Meine Güte siehst du fertig aus“, sage ich zu mir. Niemand wird jünger. Ich mache mich auf ins Bad und mache mich fertig, nicht als ob es etwas bringen würde, grundsätzlich war ich eh nie der Hübscheste. Ich habe einmal von jemandem gesagt bekommen, dass ich so aussehe, wie Ryan Gosling, wenn er in England geboren wäre. Ich dachte, es wäre ein Kompliment, bis mir die typischen äußeren Merkmale eines mit Vorurteilen behafteten Durchschnitts-Engländer vors innere Auge geschossen sind. Seit dem und eigentlich schon mein ganzes Leben ist mir klar, dass Leute einen amerikanischen Ryan Gosling wohl besser finden. Einen hübscheren Bruder, der das Familiengeschäft nicht übernehmen will, zu haben, der stattdessen auswandert, um in Italien seinen Traum als Autor auszuleben, hilft auch nicht, grade bei unserem Nachnamen. All die Witze, die ich hören muss, es wird unlustiger jeden Tag.
Ich mache mich auf den Weg ins Geschäft, bereite alles vor, heute kommen neue Lieferungen an Fleisch. Theodora kommt ebenfalls herein und begrüßt mich, sie ist Verkäuferin in dieser alten Metzgerei.
Um acht Uhr macht mein Laden auf, die ersten Kunden trudeln irgendwann eine gute halbe Stunde später ein, der erste Kunde ist Herr Peters; „Moin Messer“, er kommt aus Sieseby, „schon frisches Fleisch auf deiner Schneide gehabt?“, ruft er an Theodora vorbei, schließlich funktioniert der Witz mit ihrem Namen nicht. Gestellt lache ich, ich antworte: „Sicher Ulf, die ersten Sachen liegen vorne bei Theodora, der Rest kommt noch“. Er scheint etwas zu kaufen und verlässt den Laden. Frau Kraams betritt den Laden, „Guten Morgen Mäuschen“ Theodora lächelt leicht, Frau Kraams ist die Grundschullehrerin unserer Kleinstadt, sie hat jeden im Dorf unterrichtet. Theodora stand bei ihr auch vor der Tafel. „Was hat uns der Lieferant heute auf Messers Schneide gelegt?“ Auch sie amüsiert sich gut, bevor Theodora ihr unser schon vorhandenes Sortiment für heute vorstellt. Es folgt: „auf Messers Schneide“ hier, „auf Messers Schneide“ dort.
„Theodora“, ich schaue um die Ecke, während ich meine Handschuhe ausziehe „ich gehe gleich“, sage ich und mustere sie auf ihre Antwort. „Wo willst du denn hin, Messer?“ Sie fragt zu Recht, normalerweise gehe ich nicht früher, wo sollte ich denn auch hin. „Weg.“ „Weg? Wohin weg?“, „Weg…Richtung…weiß ich nicht“. „Kommst du denn morgen wieder?“, fragt sie skeptisch. „Vielleicht, ich haue heute nur früh ab“, sie zuckt mit den Schultern, es scheint ok zu sein.
Ich mache mich auf den Weg nachhause, ziehe meine blutigen Klamotten aus, dusche und mache mich anschließend mit meiner Vespa auf in Richtung…weiß ich nicht. Die Fahrt wird sicherlich lang und die Gedanken groß. Nach einer gewissen Zeit in irgendeine Richtung fahren, bin ich in der nächsten, Stadt, keiner kennt meinen Namen, keiner kennt meinen Laden, sollte ich alles dichtmachen? Sollte ich hier herziehen? Soll ich meine Zukunft auf Messers Schneide legen?
© Arbow 2023-08-08