„Fahrt nicht bei Nacht!“, rät uns die Seeheim-Wirtin, eine Burin. „Die Gefahr eines Wildunfalls ist höher als bei Tag. Wenn Dir so eine 250-kg-Kudu-Antilope vor den Jeep springt, könnte es das Ende der Reise sein“. An diese mit charmantem Akzent vorgebrachte Warnung müssen wir denken, als wir mit 100 Sachen über die asphaltierte B4 von Seeheim nach AUS durch die stockdunkle Savanne brausen.
Nicht ganz freiwillig. In Seeheim war das einzige Hotel ausgebucht. Wir fluchten, weil wir nicht zuvor in der Fish River Lodge eingecheckt hatten, aber sie war uns zu teuer gewesen. Ein Gewitter war aufgezogen, der Regen machte die Pads rutschig. Wir preschten auf den Hof des kleinen Seeheim-Hotels, ein Bau aus der Kolonialzeit. Der große Touristenbus ließ uns Schlimmes ahnen. Auf der Terrasse dinierte man gerade.
Wir hätten in der Rumpelkammer genächtigt, nur um nicht weiterfahren zu müssen. Wir hatten an diesem Tag bereits 570 km über staubige Pads in den Knochen. Der Wirt telefonierte herum. Freund Steve in AUS hätte einen Bungalow frei. Nur 160 km, für hiesige Verhältnisse gleich ums Eck. Enttäuscht, müde und hungrig blieb uns nichts anderes übrig.
Gegen 23 Uhr erreichen wir glücklich und unfallfrei den kleinen Ort AUS. Welch passender Name. Wir finden Steves Garage und tanken unseren Jeep randvoll. Die Zapfsäule brummt so laut, dass wohl der ganze Ort wach wird. Der Tankwart zeigt uns unser Quartier. Nie waren wir glücklicher, ins Bett zu kommen. Wir geben ihm ein dickes Trinkgeld und er trabt zu Steves Garage zurück (open 24 hours).
Gepäck reintragen und todmüde in die Betten fallen ist eins. Schlaf? Nix da! In der Küche wohnt eine Grille, die ein Konzert veranstaltet. Die Küchenzeile als Bühne, der spartanische Raum dient als Verstärker. Aber das Publikum ist undankbar. Du glaubst nicht, wie laut so ein Insekt zirpen kann. Das Vieh hockt hinter dem Kuchlkastl und entzieht sich der Verfolgung. Reini und Franz stopfen sich Ohrenstöpsel rein und ich schlafe irgendwann vor Erschöpfung ein. Fürchte nicht den Kudu, fürchte die Grille. An diesem verrückten Tag sind wir 729 km gefahren, davon 3 h nachts.
Schon kurz nach Sonnenaufgang – brütend heiß. Die Landschaft ist noch karger und trockener geworden. Wir sind bereits am Rande der Namib. Unsere Sehnsuchtswüste. AUS liegt auf 1.446 m Seehöhe an der Bahnlinie von Lüderitz nach Keetmanshoop. Eine kleine Kirche, die Tanke, eine übertrieben große Tourist-Info am Ortseingang, ein verlassener Bahnhof, AUS.
Zum Frühstück Tee, Kekse, Apfel und Schoko. Karg wie die Landschaft. Kein Abschieds-Gig von DJ Grille. Wir fahren rüber zu Steves Garage. Copilot Franz stürmt rein in den Shop und fragt den erst Besten: „Are you Joe?“, obwohl der Besitzer doch offensichtlich Steve heißt. Reini und ich kichern. Der Mann nimmt es gelassen und meint, der Chef sei nicht da. Wir zahlen das Quartier, verlassen das gastliche AUS und nehmen die letzten 120 km nach Lüderitz unter die Räder. Quer durch die Namib. AUS.
© Klaus P. Achleitner 2021-01-22