Nur ein Moment

Jennifer Dannler

von Jennifer Dannler

Story

Der Regen prasselt auf den aufgeheizten Asphalt. Ihre nackten Füße geben klatschende Geräusche von sich, während sie über den warmen Boden läuft. Sie hält ihren Pulli schützend über ihre ohnehin schon tropfnassen Locken. Es riecht nach Sommer. Gewitter sind das Beste an der sonst viel zu heißen Jahreszeit. Sie hält Inne, bleibt stehen. Ein glucksendes Lachen entweicht ihr. Sie hätte es nicht zurückhalten können, wenn sie gewollt hätte. Ist das gerade wirklich passiert? Sie würde diese Geschichte noch heute Ihrer besten Freundin erzählen. Für die ist so etwas nichts Besonderes. Für Alma aber ist es unwirklich. Sie fuhr sich mit dem Zeigefinger über ihre Lippen. Es kitzelte immer noch. Wie ein Nachbeben, das nach einer 8.0 auf der Richterskala immer noch zu spüren war. Da steht sie nun, mitten in der Nacht, mitten auf der Straße. Es war verrückt gewesen. Und richtig. Definitiv. Sie wirft den Pulli auf den Boden und streckt ihre Arme gen Himmel. In der Ferne erhellen Blitze in regelmäßigen Abständen die ansonsten grau-schwarze Nacht. In ihrer aufgedrehten Stimmung entfährt ihr ein glückliches Jauchzen. Für diese Uhrzeit natürlich viel zu laut – zumindest nach dem Maßstab ihrer cholerischen Nachbarin, die immer zur Stelle zu sein scheint, um die schönsten Momente zu verderben. “Fresse ihr Assis, es ist 03:15! Das Ordnungsamt ist auf der Schnellwahltaste!” Alma grinst, verdreht die Augen und bückt sich nach ihrem Pulli. Ruf die nur, die lachen dich eh nur aus, denkt sie noch. Als sie aufsieht blenden sie die Scheinwerfer eines viel zu schnellen Autos.

Ihre nassen Finger wischen über den Bildschirm ihres Handys. Verdammt, der Konstrukteur hatte bestimmt nie daran gedacht, dass irgendwann jemand im Regen den Notruf wählen musste. Da hätte ich doch gerne wieder mein altes 3210. Sie kramt ein Taschentuch aus ihrer Jacke und versucht das Handy und ihre Finger trocken zu wischen, um endlich die Sanitäter rufen zu können. Es gelingt ihr schließlich nach einigen verzweifelten Versuchen. Sie hält den Kopf ihrer Freundin im Schoß. Blut sifft ihr auf die Hose und tropft auf den Asphalt. Gestern Abend erst hatten sie in der Küche gesessen und sich gegenseitig die dümmsten Internetkommentare vorgelesen. Sie hatten ganze zwei Stunden durchgehend gelacht. Ein ganz normaler Abend, sie hatte ihn nicht zu schätzen gewusst. Gerade wünscht sie sich nichts mehr, als wieder auf dem unbequemen Küchen-Hocker zu sitzen. Einfach nur zurück, zurück zu diesem Moment – und raus aus diesem.

Lana schreckte in ihrem Bett auf. Puh, das hatte sich viel zu real angefühlt. Sie schauderte und brauchte einen Augenblick um in der Wirklichkeit anzukommen. Gequält stand sie auf und ging in die Küche. Sie würde Frühstück machen und es Alma ans Bett bringen. Weil sie die Möglichkeit dazu hatte, einen schönen Moment zu kreieren – und ihn auch wertzuschätzen.

© Jennifer Dannler 2022-06-24

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