Rodentia: Meerschweinchen

Es war der Klang von Wasser, welches die beiden Meerschweinchen aufhorchen ließ. Die Brüder stoppten ihr Fressen und sahen sich einander an. „Bro“, fiepste der Grauweiße leise, damit das Menschenmädchen sie nicht hörte. „Es ist wohl so weit. Wir wussten beide, dass dieser Tag kommen würde.“

Der Dreifarbige kaute andächtig auf seiner Selleriestange herum. „Wie schade. Dabei hatten wir so eine gute Zeit in der Menschenwelt. Wir-“ Er verstummte, als die 11-Jährige das Zimmer betrat. „Heute ist Badetag“, verkündigte sie vergnügt und nahm das dreifarbige Rosettenmeerschwein auf den Arm. So sehr sie sich auch um die Fellpflege ihres Haustieres bemühte, kein langes Fell blieb ewig filz frei. Also musste sie ihn waschen.

Das Meerschweinchen fiepste laut beim Anblick der vollen Küchenspüle. Sofern er in Kontakt mit Wasser kam, würde sie sein Geheimnis kennen. Und dann musste er nach Rodentia zurück; die Welt der Nagetiere. Ob er wollte oder nicht. Kein Mensch würde sich weiter um so eine Bestie kümmern, wenn sie sahen, wie gefährlich sie in Wirklichkeit waren.

Das Mädchen strich dem panischen Meerschweinchen sanft über den Rücken. „Du stellst dich an, Krümel. Das ist doch nur Wasser.“ Eigentlich hieß er nicht Krümel, sondern hörte auf den Namen Lord Susanoo. Doch seinen Namen abzulegen, war ein kleines Opfer, im Austausch gegen gratis Futter und Streicheileinheiten.

Sanft tauchte sie seine Hinterpfoten ins lauwarme Nass. Mit der einen Hand stützte sie ihn. Susanoo verspürte bereits, wie sein Körper kribbelte. Es war schwer, den Drang des Verwandelns zu unterdrücken. Schließlich gab er nach; aus dem Meerschweinchen, wurde ein gewaltiger Keiler mit riesigen Hauern, der nicht nur das Geschirr von der Ablage fegte, sondern auch das Mädchen unsanft zu Boden stieß.

Das passierte nun mal, wenn Meerschweinchen in Kontakt mit Wasser kamen; sie wurden zu gewaltigen Grollborsten. Wildschweine, die ganze Kampferbäume ausreißen konnten. „K-Krümel?“, stammelte das Mädchen erschrocken und starrte den Keiler mit weit aufgerissenen Augen an. „B-Bist du mein kleiner Krümel?“

Susanoo schüttelte benommen den breiten Kopf. Er rutschte auf einem Teller auf und zerbrach ihn. Sofort sprang das Mädchen auf und half ihm auf die Hufen. Völlig unbeeindruckt von seiner Größe und Erscheinung. Der Keiler grunzte: „Du hast keine Angst vor mir?“

Nicht mal überrascht, dass er sprechen konnte, erwiderte sie: „Du bist doch mein kleiner Krümel. Egal, wie du aussiehst.“ Liebevoll drückte sie seine nasse Schnauze an die Brust, bevor sie zum Geschirrtuch griff, um ihn abzutrocknen. Kurz darauf war er wieder ein Meerschweinchen in den Armen seines geliebten Menschenmädchens. Sanft streichelte sie seinen Rücken. “Dann müssen wir den Knoten wohl abschneiden.“

Erleichtert atmete er auf. Wie es schien, durfte Susanoo in der Menschenwelt bleiben. Fürs Erste zumindest. Trotzdem gab es noch eine Menge Erklärungsbedarf.