von Ursula Menzel
Teil I
Auf gute Fahrt
Pünktlich um 7:30 Uhr hielt der Zug am Bahnhof Zoo. Wir bestiegen ein Abteil erster Klasse. Der Schaffner nahm unsere Dokumente ab. „Na so was“, murrte mein Mann. Gerne hätte er protestiert aber mein Mann sprach kein Russisch und der Schaffner kein Deutsch. Ich bat den Zugbegleiter um Erklärung. „Ihre Dokumente bekommen sie am Zielbahnhof“, belehrte er uns.
„Sage dem Schaffner, wir wollen die Papiere sofort zurück.“
„Wir fahren in einem russischen Zug, da gelten andere Regeln“, konterte ich. Mein lieber Mann schmollte.
Erster Halt in Posen, wo Fahrgäste zustiegen. Weiter ging´s zur polnischen Grenze.
Zollkontrolle:
„Ihre Durchreisegenehmigung, bitte.“
„Durchreisegenehmigung?“
„Sie haben keine? Reisen sie durch Polen, brauchen sie Genehmigung.“
„Stellen sie uns bitte eine aus.“
„Chef!“ rief der Zöllner – und wieder eine Belehrung. Danach bekamen wir die Genehmigung.
Wir kamen nach Warschau. Von der Stadt sahen wir nichts. Unser Zug hielt unterirdisch. Fahrgäste stiegen aus und Neue zu. Außerhalb des Bahnhofs noch einmal ein Halt. Es war Mittag und die Sonne brannte auf das Dach. Die Stewardessen verteilten Tee, soviel man wollte. Mit Essbarem hatte ich vorgesorgt.
„Gibt es hier keinen Speisewagen?“ fragte mich mein Mann, „auf einer so langen Reise muss es doch ein Bordrestaurant geben.“
„Ja, es gibt etwas, das man Speisewagen nennt“, hörte ich nebenbei.
Sofort durchsuchte mein Mann den Zug. Enttäuscht kam er zurück. „Nirgendwo ein Speisewagen. Das gibt es doch nicht!“
„Ich gehe mal draußen am Zug entlang.“
„Aussteigen ist verboten“, ermahnte ich ihn. Für meinen Mann galt das wohl nicht.
Ungefähr eine viertel Stunde wartete ich im Abteil. Plötzlich fuhr der Zug an und nahm Fahrt auf. Mir lief es eiskalt über den Rücken. Mein Mann hatte die Abfahrt verpasst. Stand er nun irgendwo in Polen, ohne Papiere, ohne Geld?
Eine Zeit lang sah ich grübelnd aus dem Fenster, als plötzlich mein Mann hereinkam.
„Das Reisen mit dir ist ein einziges Abenteuer“, fuhr ich ihn an.
„Ich bin auf den anfahrenden Zug aufgesprungen. Hätten mich Fahrgäste nicht hineingezogen, wäre ich auf der Strecke geblieben. Glück gehabt, jetzt bin ich hier.“ Das Bordrestaurant blieb weiterhin ein Rätsel.
Nach dreißig Stunden Fahrt kamen wir in Moskau am weißrussischen Bahnhof an. Marina und Jeljena empfingen uns mit einem Blumenstrauß. Zwei Stunden fuhren wir mit dem Auto bis Vladimir, wo uns Natascha mit einem üppigen Abendessen empfing.
© Ursula Menzel 2021-03-05