von Jökull
Heute ist der Tag der Cervicalstützen. Nicht irgendwo, sondern auf Bali. Wie kommt’s? Sind die zahlreichen Straßenhändler auf eine neue Geschäftsidee gekommen? Oder wurde eine über Bord gegangene Schiffsladung an den Strand gespült? Letzteres wäre zumindest plausibel. Die Machart der um den Hals gewundenen Gebilde deutet auf eine identische Quelle hin.
Die Antwort haben wir längst und meine Frau auch eine. Immer wenn wir in den Straßen von Kuta jemand mit diesem Ding treffen, kommen wir unweigerlich ins Gespräch. So wie Hundehalter, deren Vierbeiner sich beschnuppern, während sie einen Plausch halten. In diesem Fall ist der gemeinsame Nenner hinter der Halskrause die Flugnummer GA 973.
GA 973 steht für den gemeinsamen Ritt durch die Hölle. Die Hölle über Kuala Lumpur auf dem Flug Frankfurt-Denpasar. Mit geplantem Zwischenstopp in Singapur am Tag davor.
Die zauberhaften Stewardessen hatten in der Frühe gerade dampfende Erfrischungstücher verteilt. Anschließend wurden rund 500 Frühstückstabletts und dazu Kaffee und Tee serviert. Nun waren sie mit dem Trolley unterwegs, um Getränke nachzuschenken.
Plötzlich übertrug sich ein leichtes Rütteln im Rumpf auf die Tabletts. Meine Tasse hopste nach oben und Kaffeebrühe schwappte über. Dann nochmal. Beim dritten Mal ging es unversehens in den Zustand der Schwerelosigkeit über. Die Tabletts flogen nach oben. Nicht angeschnallte Fluggäste und die Flugbegleiter wurden an die Kabinendecke gepresst. Ein Moment, um mit dem Leben abzuschließen, sofern einem danach war.
Dann ein lauter, dumpfer Knall und ein Blick durchs Kabinenfenster. Die Flügelspitzen wippten mehrere Male rund zehn Meter in beide Richtungen. Im selben Moment krachten Menschen und Tabletts mit Wucht gen Boden. Eine Stewardess wurde unter ihren Trolley gequetscht. Fluggäste kauerten zwischen den Sitzen. Erst jetzt plumpsten auch die Sauerstoffmasken aus Ihren Halterungen. Dem Panikgeschrei folgte Stille. Nachdem die Verletzten versorgt waren, begann das große Aufräumen. Mein Butterbrötchen klebte unter dem Gepäckfach. Auch die in Sambal getunkten Asia-Nudeln blieben haften. Sie widersetzten sich erfolgreich der Erdanziehung beim Aufprall auf die Luftschicht. Die Essensreste am Boden wurden hastig in Müllsäcken entsorgt.
Inzwischen flog der Jumbo wieder in ruhigen Bahnen. Butterweich setzte er in Singapur auf. Nach dem Andocken ans Terminal zog es viele Passagiere erstmal zum Airport-Arzt. Der beschränkte sich ob des Andrangs auf die Kontrolle der Pupillen. Wer intensiver untersucht werden wollte, wurde ins nahegelegene Hospital gefahren.
Den Jumbo erwartet erstmal ein umfassender Technik-Check. Im Hospital erhielten die Passagiere Schmerztabletten und die erwähnte Halskrause. Der Weiterflug nach Bali erfolgte in der Business Class von Ersatzmaschinen. Die auf ‚Neck & Shoulder‘ spezialisierten Masseure werden bald viel zu tun haben.
© Jökull 2021-02-03