Der Wecker klingelt um 6:00 Uhr – und ich haue ihn mit der rechten Hand runter, während die linke schon ziellos nach der Kaffeetasse greift. Heute startet der große Schreibmarathon: 24 Stunden, 10.000 Wörter, null Ausreden. Ich schleiche ins Wohnzimmer, wo Ernest, mein unerschütterlicher Kaktus-Kumpel, auf dem Fensterbrett thront. »Bereit für den Härtetest, Alter?«, flüstere ich ihm zu. Keine Antwort, aber sein stoisches Grün wirkt ermutigend.
Punkt 7:00 Uhr sitze ich im Community-Raum des lokalen Literaturcafés – umgeben von eingefleischten Schreibnolimits, flipchartgroßen Timern und Schokoriegelstapeln. Max huscht kurz vorbei, gibt mir einen High-Five und einen doppelten Espresso. »Nicht einschlafen, Partner!«, ruft er, bevor er verschwindet. Ich rechne innerlich: Mit diesem Koffeinrausch schaffe ich locker 3.000 Wörter in zwei Stunden. Challenge accepted.
Stunde eins: Ideen pumpen wie ein Duracell-Häschen. Ich tippe einen wilden Thriller-Prolog, der von Zombies in Metzgerkutten handelt, dann wechsle ich zu einer romantischen Szene in der U-Bahn. Bei Wort 1.500 streift mich ein erster Zweifel: Ist das Chaos oder Genialität? Ich stütze mein Kinn in die Hand, egal: „Weiter!“
Stunde drei: Schlappe. Meine Finger bewegen sich so langsam, als wären sie in Sirup getaucht. Ich versuche, mir noch einen Café Latte zu organisieren. Die Barista lächelt, als gäbe ich Tausende aus, und ich nicke dankbar. Frisch gestärkt tippe ich weitere 500 Wörter, aber die Qualität erinnert eher an To-Do-Listen: „Einkaufen. Wäsche. Welt retten.“ Potential? Fraglich.
Mittag: Gruppen-Check-in. Alle halten ihre Word-Counter hoch. Ich fühle mich wie beim Sportfest in der Grundschule: peinlich und aufregend zugleich. 3.200 Wörter. Ziemlich gut – aber der Jackpot liegt bei 7.000. Die Konkurrenz glüht, ich schwitze.
Nachmittag: Kreativer Höhenflug! Ich verfasse einen komödiantischen Dialog zwischen einem sprechenden Toaster und einer philosophischen Banane. Ich lache so laut, dass ein schreibfauler Teilnehmer irritiert guckt. Egal, Spaß muss sein.
Spätabend: Die Energie ist weg, meine Augen brennen, und ich starre auf den Bildschirm. Ich greife zu Briefumschlägen, schneide sie auseinander und baue Origami-Kraniche – Kreativitäts-Crashkurs. Nach weiteren zehn Minuten pumpen meine Finger wieder. Das Geheimnis: Kurze Ablenkung.
Mitternacht: Letzter Push. Die Wörter fließen, als hätte ich einen imaginären Wasserfall angezapft. Ich flüstere mir selbst zu: „Ich schaffe es!“ Das Display zeigt 9.800. Ich zittere, paar Lücken: zwei Sätze, 200 Wörter. Ein Finale! Mit letzter Kraft tippe ich die letzten Szenen, schreibe ein versöhnliches Happy End für meinen Protagonisten und tippe das Schlusswort.
7:00 Uhr, nächster Morgen: 10.051 Wörter. Ich lehne mich zurück und klopfe mir selbst auf die Schulter. »Geschafft. Marathon-Champion.« Und während meine Augen zufallen, träume ich schon von der nächsten Challenge – vielleicht ein Sprint mit Schlafpausen.
© Kreative-Schreibwelt 2025-06-11