Ich hatte mir vorgenommen, an diesem Abend nur einen Titel zu finden. Einen schlichten, klaren, eleganten Titel für mein Manuskript. Kein Problem, dachte ich, zehn Minuten, ein bisschen Hirnschmalz, fertig.
Zwei Stunden später lag mein Schreibtisch unter einem Schneesturm aus zerknüllten Zetteln. Jeder trug irgendeinen Kandidaten, von »Schatten im Morgenlicht« bis »Projekt X«, wobei letzterer eindeutig nach Geheimlabor klang. Ernest stand auf dem Fensterbrett, und ich war mir sicher, er wirkte spöttisch. »Halt die Stacheln«, murmelte ich ihm zu, »du müsstest keinen Titel finden, wenn du die Geschichte schreiben würdest.«
In diesem Moment klingelte es, und Max trat ein. Er hatte Chips dabei und einen Blick, der sofort alles verriet: Er hatte meine Verzweiflungsnachricht gelesen. »Titelkrise?«, fragte er trocken.
Ich nickte nur und schob ihm einen Stapel Zettel rüber. »Hilf mir. Sonst endet mein Buch als ›Unbenanntes Dokument 3‹.«
Max griff sich einen Zettel, las: »Herz im Nebel«. Er verzog das Gesicht. »Klingt wie ein Schlagersong.« Dann kramte er einen Stift hervor und begann, eigene Vorschläge zu kritzeln: »Drachen, Drama, Doppelhaushälfte.« Ich starrte ihn entgeistert an.
»Das ist Satire«, erklärte er unschuldig. »Aber immerhin bleibt es hängen.«
Wir lachten, und plötzlich war der Damm gebrochen. Ein Titel jagte den nächsten, immer absurder. »Blut, Schweiß und Cappuccino.« – »Der Kaktus spricht.« – »Die Legende von Kapitel 7.« Jeder Vorschlag landete auf einem neuen Zettel, bis der Boden aussah, als hätte jemand literarisches Konfetti verteilt.
»Wenn du das alles aufbewahrst«, meinte Max, »kannst du irgendwann ein Buch nur mit Titeln veröffentlichen.«
Ich blickte auf das Chaos. Ein Teil von mir schrie, dass mein Manuskript ernsthaften Schaden nehmen könnte – im Sturm der Titelideen würden die eigentlichen Kapitel irgendwann verschwinden. Der andere Teil musste lachen. Es war, als hätte ich eine geheime Kreativ-Maschine gezündet, die außer Kontrolle geraten war.
»Vielleicht«, murmelte ich, »brauche ich gar keinen perfekten Titel. Vielleicht reicht einer, der so tut, als wäre er perfekt.«
Ernest schwieg, aber ich schwöre, er sah zustimmend aus.
Schließlich entschied ich mich – halb ernst, halb verzweifelt – für einen der simpleren Titel, den ich ganz am Anfang notiert hatte. Ironischerweise war er der erste gewesen, den ich wieder verworfen hatte.
Max grinste. »Also alles umsonst?«
Ich nahm die Chipstüte, die er mitgebracht hatte. »Nicht alles. Immerhin hab ich jetzt einen Titel und eine Mahlzeit.«
© Kreative-Schreibwelt 2025-09-18