Tage des Schriftstellers: Der Umschlag

Kreative-Schreibwelt

von Kreative-Schreibwelt

Story

Der Tag startete wie jeder andere: Ich schälte mich aus dem Bett, stolperte über erdnussbutterartige Flecken auf dem Nachttisch (Ernest hatte mal wieder eine nächtliche Pollenattacke), und schlurfte zur Haustür. Dort lag ein dicker Brief, adressiert an »Frau Dr. Philomena Fuchs, Podologische Praxis«. Na gut, dachte ich, meine Nachbarin ist wohl wieder verreist. Ich warf den Umschlag vor ihre Tür und dachte nicht weiter darüber nach.

Bis ich eine Stunde später an meinen Schreibtisch zurückkehrte und plötzlich dieser metallische Knoten in der Magengrube auftauchte. Denn auf dem Schreibtisch lag derselbe Brief – aufgerissen, mit herausgefallenen Polaroids: schwarz-weiß-Bilder von merkwürdigen Schuhabdrücken, einem leergefegten Fußbad und – am beunruhigendsten – einer Schuhsohle, auf der in krakeliger Handschrift stand: »Vertraue niemandem, der barfuß geht.«

»Ernest«, murmelte ich, während ich den Kaktus anstupste, »das riecht nach Thriller.« Natürlich antwortete er nicht, aber sein stacheliger Silvesterblick genügte als Zustimmung.

Ich rief Max an. Er war gerade im Skatepark und rief: »Was ist los, du klingst wie ein Panikhuhn!«

»Ich habe einen Brief bekommen, der gar nicht mir gehört, und jetzt ist er wieder bei mir«, und erzählte ihm den Rest.

»Klingt nach Mystery! Schreib doch ‘ne Story drüber. Titel: ›Der barfüßige Mörder‹.«

Ich lachte. »Vielleicht ein zwielichtiger Fußfetischist, der seine Opfer anhand ihres Abrollverhaltens auswählt?«

»Genau! Und die Hauptfigur ist eine Podologin auf Spurensuche!«

Spontan packte mich die Schreiblust. Ich stellte mir Dr. Philomena Fuchs vor: eine resolute Fußspezialistin mit Adlerblick und Geheimnissen. In meinem Kopf pulsierte die Szene, wie sie mit Lupe und Fußabdruck-Pulver – in echt natürlich Babypuder – durch das verregnete Pflaster einer Hinterhofgasse schleicht. Ich kramte in alten Notizbüchern: Was hatte ich da noch für schräge Ideen? Bingo: eine zweite Figur, ein Taxifahrer namens Nuri, der barfuß arbeitet, weil seine Großmutter das so wollte – und der plötzlich unter Verdacht gerät.

Während ich tippte, griff ich zwischendurch zur Kaffeetasse. »Ernest«, flüsterte ich theatralisch, »du bist mein einziger Zeuge.« Sein stoischer Blick war das perfekte Gegengewicht zu meinem Kaffeenervenkitzel.

Am Nachmittag schickte ich Max einen ersten Auszug. Er antwortete prompt: »Göttlich! Ich seh schon das Serienformat: ›Fuchs und der Fußabdruck-Express‹.«

Abends saß ich im Schein der Schreibtischlampe, umgeben von zerknüllten Seiten und Kaffeetassen. Der falsche Brief war längst vergessen – stattdessen hielt ich eine neue Geschichte in der Hand: mit Plot-Twist, barfüßigen Verdächtigen und einer Podologin, die ihre Spuren mit der Pediküre des Grauens beseitigt.

© Kreative-Schreibwelt 2025-06-25

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Herausfordernd, Komisch, Hoffnungsvoll
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