Tage des Schriftstellers: Recherche-Wahnsinn

Kreative-Schreibwelt

von Kreative-Schreibwelt

Story

Ich wollte wirklich nur EINEN Fakt überprüfen. Nur einen. Es ging um eine mittelalterliche Waffe – eine Hellebarde, glaub ich. Oder war’s ein Morgenstern? Egal. Jedenfalls wollte ich nur schnell nachschauen, wie die Dinger aussahen. Zwei Minuten, höchstens fünf.

Schnitt: Drei Stunden später.

Ich saß mit halb leerer Kaffeetasse vor meinem Laptop, habe zehn Tabs offen, darunter ein Doku-Video über die Kunst des mittelalterlichen Brotbackens und einen Blogartikel über den Unterschied zwischen einem Knappen und einem Pagen. Mein eigentlicher Schreibfortschritt: 23 Wörter. Davon fünf »der«, zwei »und« und ein halbes »vermutlich«. »Ernest«, murmelte ich meinem Kaktus zu, »wenn ich dir sage, dass man im 14. Jahrhundert in Leinen gebacken hat, klingt das interessant oder nach völliger Selbstsabotage?«
Er schwieg. Wie immer. Aber ich hätte schwören können, dass er leicht gezuckt hat.

Es fing harmlos an. Wikipedia. Klassiker. Dann klickte ich auf die Fußnote, die zu einer akademischen Abhandlung führte. Die führte zu einem PDF über Feldlager im Hochmittelalter. Und irgendwo dort ging’s los – ein Link hier, ein Video da … Plötzlich demonstrierte mir ein Mann mit beeindruckendem Bart, wie man Sauerteig in einer Feuergrube züchtet. Ich konnte nicht wegsehen.

Max rief an. »Was machst du gerade?«
»Recherche.«
»Aha. Schreibst du schon wieder einen historischen Roman?«
»Nein.«
»Dann warum zur Hölle …«
»Weil meine Figur mit einer Hellebarde jemanden bedroht, und ich wollte wissen, wie schwer die ist.«
»Und was hast du rausgefunden?«
»Dass man sie am besten mit beiden Händen führt. Und dass man Brot auch mit Asche konservieren kann.«
Pause. Dann nur: »Ich komm vorbei. Du brauchst Hilfe.«

Zehn Minuten später saßen wir auf meinem Sofa. Ich erzählte Max, was ich alles gelernt hatte. Er hörte aufmerksam zu, wie ein Anthropologe, der ein neu entdecktes Volk studiert.

»Und schreibst du jetzt über mittelalterliches Brot?«
»Nein.«
»Dann fang bitte endlich an, deinen Text zu schreiben, bevor du am Ende ein Kochbuch veröffentlichst.«

Ich nickte. Schweren Herzens schloss ich die Tabs. Gut, einen ließ ich offen – der über das Lehmofenbauen. Man wusste ja nie.

»Du brauchst ein Zeitlimit fürs Recherchieren«, sagte Max.
»Und du brauchst mehr Verständnis für historische Genauigkeit.«
Er sah Ernest an. »Der war früher auch mal normal, oder?«
Ernest schwieg. Loyal.

Und ich? Ich habe danach wirklich weitergeschrieben. Die Hellebarde hat es übrigens nicht in die Endfassung geschafft. Aber das mit dem Brot … Vielleicht.

© Kreative-Schreibwelt 2025-08-06

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Herausfordernd, Komisch, Hoffnungsvoll
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