Ich hatte die perfekte Idee: ein Wochenende allein in einer kleinen Hütte im Wald. Keine Ablenkungen, keine Termine, nur ich, mein Laptop und mein Manuskript. »Natur pur, das bringt dich garantiert voran!«, hatte ich mir eingeredet, als ich die Schlüssel übernahm.
Die ersten Minuten waren tatsächlich idyllisch. Vögel zwitscherten, irgendwo rauschte ein Bach, und die Sonne fiel golden durchs Fenster. Ich stellte Ernest, meinen Kaktus, vorsichtig auf die Fensterbank. »Hier wirst du zur Inspirationspflanze«, sagte ich feierlich. Ernest schwieg – was sonst.
Doch schon nach einer Stunde begann das Fiasko. Kein WLAN. Nicht mal ein klägliches Balkensignal. Ich hatte mir vorgenommen, mich voll aufs Schreiben zu konzentrieren, aber plötzlich fühlte ich mich abgeschnitten wie ein Robinson Crusoe mit Word-Dokument.
Abends wurde es noch ungemütlicher. Sobald die Sonne hinter den Bäumen verschwunden war, hörte ich Geräusche. Kratzen. Scharren. Ein leises Piepsen. Ich erstarrte. Thriller-Szenen aus meinem Manuskript liefen wie ein Horrorfilm in meinem Kopf ab. Mit einer Taschenlampe bewaffnet, pirschte ich mich durch die Hütte. Und da war sie: eine winzige Maus, die sich seelenruhig über meine Notizzettel hermachte.
»Ernsthaft?«, fauchte ich. »Von allen Lesern der Welt musst ausgerechnet du der Erste sein?« Die Maus kaute unbeirrt weiter. Ernest beobachtete das Spektakel stumm, vermutlich innerlich amüsiert.
Die nächsten Stunden schrieb ich nicht, sondern veranstaltete ein Katz-und-Maus-Spiel ohne Katze. Immer wenn ich anfing zu tippen, raschelte es wieder irgendwo. Schließlich gab ich auf, legte die Füße hoch und aß meine Notration Schokolade.
Am nächsten Morgen wollte ich neu starten. Frisch, motiviert, voller Energie. Ich öffnete das Dokument – und starrte ins Leere. Kein Satz, kein Funken. Stattdessen hörte ich wieder das Rascheln. Die Maus hockte diesmal direkt neben Ernest auf der Fensterbank. Ein ungleiches Duo, das mich in meiner Schreibkrise beäugte.
»Na gut«, murmelte ich, »vielleicht ist das Schicksal. Ihr wollt einfach, dass ich nicht schreibe.« Ich packte den Laptop beiseite, schnappte mir einen Stift und begann stattdessen, über die Maus zu schreiben. Und siehe da: Die Worte flossen. Nicht über mein eigentliches Projekt, aber über meinen missglückten Schreiburlaub.
Als ich nach zwei Tagen zurückfuhr, hatte ich kein neues Kapitel, dafür aber die beste Anekdote meines Autorendaseins. Max lachte Tränen, als ich ihm davon erzählte. »Also war die Hütte am Ende doch ein Erfolg«, meinte er.
Ich zuckte mit den Schultern. »Kommt drauf an. Die Maus war wahrscheinlich mehr inspiriert als ich.«
Und Ernest? Der stand wieder brav auf meiner Fensterbank zu Hause. Aber manchmal, wenn es nachts raschelte, fragte ich mich, ob er nicht heimlich auf Besuch wartete.
© Kreative-Schreibwelt 2025-09-24