von Pia Steinberg
Ich starte diesen ersten Eintrag mit ordentlich Wut im Bauch. Wut darüber, dass ich nicht schon an Tag 1 damit begonnen habe, alles festzuhalten. Wut über meine Haare, die heute so gar nicht „ready to pitch“ aussehen. Wut, weil meine Tochter heute zum dritten Mal in Folge Nudeln mit Soße gegessen hat – nicht mal selbst gekocht, sondern aus der Mensa gerettet. Und Wut darüber, dass ich jetzt hier am Esstisch sitze, neben ihr, und statt den Moment zu genießen, tippe ich mir den Frust von der Seele. Wie eine Wahnsinnige. Sie sitzt neben mir, schmatzt – und weißt du was? Es stört mich kein bisschen. Im Gegenteil: Ich bin dankbar. Dankbar, dass sie mit neun Jahren so viel Selbstständigkeit lebt, dass sie nicht noch eine weitere Aufgabe auf meiner endlosen To-do-Liste ist, sondern einfach sie selbst . Ein kleines Wunder, das sich umsorgt, während ich versuche, nicht komplett den Kopf in den Sand zu stecken – als Mutter, Gründerin, Geschäftsführerin eines Start-ups mit massivem Wachstumspotenzial und null Zeit für einen Breakdown. Ich wünschte, es gäbe für jedes meiner Probleme eine einfache Lösung. Spoiler: Die gibt es. Sie heißen „Mitarbeiter“. Jemand, der den Businessplan neu aufsetzt, damit wir Investitionsgelder bekommen. Jemand, der die Auslieferung plant. Jemand, der meinen Posteingang aufräumt. Und im Idealfall jemand, der mir endlich das „Gender-Mainstreaming“ beibringt. Aber dafür fehlt das Budget. Stattdessen ploppt eine Rechnung im hohen vierstelligen Bereich in mein Postfach – für einen Award, über den ich monatelang nicht sprechen darf, aber jetzt schon bezahlen soll. Kurzfassung: Wir brauchen dringend Geld. Und wenn’s nach mir geht – davon am liebsten ganz viel Zeit kaufen. Der einzige Punkt auf meiner heutigen Liste, den ich mit einem halbwegs guten Gefühl abhaken kann: Ich habe meiner Tochter gesagt, dass ich heute miese Laune habe – und dass sie dafür nichts kann. Ihre Antwort? „Mama, ich weiß, dass du das schaffst. Du musst nur an dich glauben, dann kannst du alles schaffen. Ich bin immer Zeuge.“ Ich: „Wirklich? Ich fühle mich grad gar nicht so.“ Sie: „Nur weil man es nicht fühlt, heißt das nicht, dass man es nicht ist.“ Bämm. Tränen in den Augen. Aber keine Zeit, sie herauszulassen. Vielleicht sollte ich genau das tun – einfach mal heulen. Denn dieser Tag wird sicher keinen Eintrag in die Startup-Chroniken bekommen – höchstens einen Rekord im Guinness-Buch, für die unordentlichste Wohnung Deutschlands. Vielleicht versuche ich irgendwann, die Tage 1 bis 61 nachzuholen. Aber wenn ich so weitermache, muss ich bald lieber mich selbst rekonstruieren. Und ja, in zwölf Tagen steht der Urlaub an. Theoretisch ein Lichtblick – praktisch ein weiterer Grund, alles auf „dringend“ zu setzen. Und dann kommt mein Freund und Geschäftspartner auch noch mit der Idee, uns im Fitnessstudio anzumelden … und eine Doppelhaushälfte zu besichtigen. Nebenbei. Weil … warum nicht auch noch umziehen während des Unternehmensaufbaus? Klar, eine Umzugsfirma wäre eine Lösung. Aber ganz ehrlich – ich würde damit mein Chaos nur ein paar Straßen weitertragen. Und hatte trotzdem keinen strukturierten Tagesablauf mit Yoga und Tee, sondern weiterhin Oreo und Vape. Auch beende ich diesen Eintrag. Und arbeite weiter. In der Hoffnung, dass ich an Tag 63 vielleicht wieder ein bisschen mehr stolz bin. Und ein bisschen mehr ich.
© Pia Steinberg 2025-03-25