5. Der Fisch im Kugelglas

Heinz-Dieter Brandt

von Heinz-Dieter Brandt

Story

Vor einigen Jahren hat der Stadtrat von Monza in Italien verboten, Goldfische in einem Kugelglas zu halten, weil die Fische nur ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit sehen wĂŒrden.

Ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit sehen wir auch, wenn wir in den Himmel schauen. FĂŒr die Menschen der Antike standen die Sterne fest – fixiert – am Himmel, jeden Tag an der gleichen Stelle. So war es leicht, die Sternbilder mit entsprechenden Sagen zu verbinden.

75 % der Deutschen erkennen den Großen BĂ€ren (Wagen). Bei einer Reise in die ferne Vergangenheit oder in die ferne Zukunft wĂŒrden sie ihn kaum wiedererkennen. Vielleicht gibt es ihn gar nicht mehr, weil der eine oder andere Stern in Rauch aufgegangen ist.

50.000 Jahre in die Vergangenheit zurĂŒck, standen die Sterne des Großen BĂ€ren an einer anderen Stelle, und in 100.000 Jahren hat sich die Figur erneut verĂ€ndert. Die Sterne im Großen BĂ€ren haben, wie die Sterne in anderen Bildern, obwohl sie Fixsterne sind, unterschiedliche Eigenbewegungen, zu weit entfernt, um das wahrzunehmen.

Der Astronom Edmund Halley (nach dem ein berĂŒhmter Komet benannt ist) entdeckte 1718, dass sich die Sterne von uns weg oder auf uns zu bewegen, auch wenn wir keine VerĂ€nderung sehen. Das Licht, das der hellste Stern Dubhe im Großen BĂ€ren (Stern „alpha“ am höchsten Punkt des “Wagenkastens”) vor genau 125 Jahren ausgesandt hat – erreicht uns erst zum Zeitpunkt dieser Lesung. Merak (beta), der direkt darunter liegt, hat sein heutiges Licht “erst” vor 80 Jahren ausgesandt. Und es gibt Sterne, deren Licht 1.000, 10.000, 1 Million oder noch mehr Jahre unterwegs ist. Auch das Licht der Sonne ist nicht frisch. Es erreicht uns erst nach 8 Minuten und 19 Sekunden. Wir sehen am Himmel nichts Reales, wir sehen nur Vergangenes. Wir leben in und mit der Vergangenheit.

So stehen auch die einzelnen Sterne im Großen BĂ€ren nicht in einer Ebene. Sie bilden dieses zufĂ€llig zusammenhĂ€ngende Gebilde, das es in Wirklichkeit gar nicht gibt, weil sie unterschiedlich weit voneinander entfernt sind (56 Lichtjahre bis 125 Lichtjahre).

Die Sterne im Großen BĂ€ren sind etwa zehnmal jĂŒnger als unser Sonnensystem. Zusammen mit 150 weiteren Sternen gehören sie zum “BĂ€renstrom”, einem ehemals offenen Sternhaufen, der sich erst seit 50 Millionen Jahren in unsere Richtung bewegt.

Die Menschen auf der SĂŒdhalbkugel der Erde können unsere Sternbilder nicht sehen. Als die Weltumsegler Kolumbus, Vasco da Gama und Magellan die ihnen unbekannten Sternbilder sahen, gaben sie ihnen Namen aus ihrem tĂ€glichen Leben: Schiffssegel, Sextant, Kompass, Luftpumpe.

Aus den Sternbildern der Antike entwickelte sich die Astrologie mit dem Horoskopglauben, der den Einfluss der Sternbilder auf die Geburtsdaten beschreibt und fĂŒr jeden Monat ein symbolisches Bild – das Tierkreiszeichen – festlegt. Können verzerrte oder gar nicht mehr vorhandene Sternkonstellationen energetische KrĂ€fte freisetzen?

Oder ist es der Sternenstaub, der auf und in uns wirkt?

© Heinz-Dieter Brandt 2023-02-27

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