von Toni Grießbach
150 km/h. Dem Fahrer macht es Spaß, alles aus seinem klapprigen Taxi herauszuholen, und das legitimiert durch den Auftrag, mich so schnell wie möglich zum Flughafen zu bringen.
Noch drei Tage zuvor befuhr ich mit Freunden in Kajaks den „Fluss der durch den Himmel fließt“, wie der Yangtze in seinem Oberlauf genannt wird. Jetzt sitze ich in diesem Taxi, und es scheint, als ob die Fahrt in den Himmel durch die Hölle geht. Der Wettlauf, meinen Flieger zu erreichen, begann schon ein paar Tage zuvor. Der Bus, der uns am Ausstieg abholen sollte, kam 24 Stunden zu spät. Mit Vollgas ging es durch die Wildnis Chinas, 16 Stunden lang, unterbrochen nur von notwendigen Tank- und Pinkelpausen. In Madoi schliefen wir drei Stunden und waren früh wieder auf der Straße.
Bei einer kurzen Pause sah ich Wasser aus dem Motorraum tropfen. Sollte ich das dem Fahrer sagen? Einerseits zählte jede Minute, um noch eine Chance zu haben, den Flieger zu erreichen. Andererseits hätte uns ein Motorschaden wegen fehlenden Kühlwassers um viele Stunden oder gar Tage zurückgeworfen. Nach der Reparatur waren es noch 10 Stunden bis Xining. Meine amerikanischen Freunde waren beruhigt: Sie würden ihren Flieger am nächsten Tag erreichen.
Für mich aber geht das Rennen weiter, mein Flieger startet in einer Stunde. Unsere chinesischen Begleiter erklärten dem Taxifahrer, dass er Gas geben soll. Pünktlich zum Boarding bin ich am Gate. Geschafft. Ich stecke seit zwei Tagen in den selben Klamotten, bin verstaubt und verschwitzt, meine Fotoausrüstung und die Speicherkarten sind im Hauptgepäck. Das alles kann ich jetzt nicht ändern.
Es ist eng in dem chinesischen Flieger. Wir sitzen nun schon über eine Stunde hier. Auf eine chinesische Ansage, die ich nicht verstehe, folgt fast tumultartige Unruhe. Alle müssen wieder aussteigen. Der Flieger ist zu schwer und kann erst abheben, sobald die Temperatur auf unter 20°C gesunken ist, übersetzt man mir. Nach Stunden heben wir ab und erreichen um drei Uhr nachts Peking.
Ich stehe am Gepäckband und warte. Ganz alleine stehe ich da. Am Infoschalter herrscht Aufruhr. In Xining wurde alles Gepäck ausgeladen, weil der Flieger zu schwer war. Eine junge Frau übersetzt mir den auszufüllenden chinesischen Nachsendeauftrag.
Auf einer Bank versuche ich ein paar Stunden zu schlafen. Schon um 7 Uhr bin ich dann auf der Suche nach meinem Gepäck. Ich werde von Pontius zu Pilatus geschickt – und zurück. An etwa 10 verschiedenen Schaltern bin ich nun regelmäßig Gast. Die Zeit drängt. Mittags geht der Flug nach München. Mein Gepäck kann ich nicht zurücklassen, ich würde es mit Sicherheit nicht wiedersehen. Es durchzuchecken bis München war nicht möglich.
Endlich rollt mein Seesack vom Band. Schnell einchecken, die Security passieren und ab zum Gate. Zu allem Überfluss scheint der Aufzug zweimal stecken zu bleiben. Kurz vor Ende des Boardings steige ich in den Flieger, immer noch in den selben Klamotten. Gut dass ich eine ganze Reihe nur für mich habe.
© Toni Grießbach 2019-12-21