Die Pestoweisheit des Scheiterns

Dorothee Bliem

von Dorothee Bliem

Story

Manchmal, wenn ich mich klug und gebildet fühlen möchte, lese ich schlaue Zeitschriften. So zum Beispiel das Zeit-Magazin. Neulich sprang mir darin ein Rezept für »Penne mit Kräuterseitling-Sesam-Pesto« entgegen. Ich hatte eigentlich vorgehabt, Spaghetti mit Tomatensauce aus dem Glas zu essen, doch nach meiner intellektuellen Beschäftigung schien mir das nicht mehr so wirklich angemessen. Ein Stilbruch – selbst, wenn es Barilla ist. Bis auf die Kräuterseitlinge und den? das? Tahin hatte ich alle Zutaten vorrätig, also warum nicht, dachte ich.

Auf dem Weg zum Supermarkt noch schnell googlen, was Tahin überhaupt ist. Sesampaste. Im M-Preis feststellen, dass es die nicht gibt. Und auch keine Kräuterseitlinge. Auf Champignons ausweichen und die Sesampaste selber zubereiten. Das war der Plan.

Ich mixte die Sesamkörner mit etwas Öl zu einer vermeintlich »sämigen Paste«. Das sah nicht nur aus wie Dünnpfiff, sondern roch auch ähnlich intensiv. Mein Freund M. riss jegliche Fenster und Türen seiner Wohnung auf. Der Hoffnungsschimmer blieb, dass mit den restlichen Zutaten (gebratene Champignons, Petersilie, Zitronensaft und Ahornsirup) zumindest geschmacklich noch ein Wunder passieren würde. M. tat so, als nehme er es mit Humor, doch in Wahrheit stauten sich wohl seine Aggressionen. Er tunkte die Spitze seines kleinen Fingers in mein stampfgewordenes Versagen und schwieg. Mein persönliches Fazit war »essbar«, doch M. blickte nur verlegen in Richtung Kühlschrank. Ich ärgerte mich über mich selbst, konnte es ihm aber kaum übel nehmen, mit dem Barillapesto zu liebäugeln. Anstelle zu schmollen, dachte ich an ein Buch von Brené Brown, das ich neulich angelesen hatte. Dort heißt es, dass es sich einfacher lebe, wenn man dem ›Mut‹ eine höhere Wertigkeit zuspricht als dem ›Erfolg‹. Das Pesto gab mir zu Verstehen: die Autorin hat recht. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Immerhin habe ich etwas Neues ausprobiert. Und ich weiß jetzt, was Tahin ist. Vielleicht kann man sich im Scheitern ja auch im Kleinen üben, bevor man sich auf gefährlicheres Terrain begibt.

Das Barillapesto war dann übrigens ganz vorzüglich. Noch besser als sonst.

© Dorothee Bliem 2020-04-28

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