Wäsche weg, die Gaukler sind da!

Story

„Leute, hängt die Wäsche weg, die Gaukler sind da!“ Dieser Satz klingt der Familie Weisheit seit vielen Generationen in den Ohren. Der Stammbaum der Zirkusdynastie, dessen Wurzeln angeblich bis 1631 zurückgehen, ist unüberschaubar weit verzweigt. Bärentreiber, Seiltänzer, Faxenmacher und Ketten sprengende Muskelprotze, die durch die Lande zogen, sollen die Weisheits damals gewesen sein.

Der Circus Berlin entstand 1967. Ein Teil der Großfamilie landete nach der Teilung der Stadt beim DDR-Staatszirkus, der andere flüchtete in den Westen und gründete ein eigenes Unternehmen. Und nun hatte Rolf Bengert den Circus Berlin nach Salzburg geholt, wo die Weisheits im Volksgarten ihr blaues Chapiteau aufschlugen, das nicht nur Spielstätte für die Zirkusaufführungen, sondern auch für die musikalischen und kleinkünstlerischen Darbietungen im Teatro Spettacolo war.

“We are family!” Mit einem halben Dutzend Kindern hatten Direktor Otto “Ottero” Weisheit und seine resolute Frau Christa, die in jungen Jahren für den Todessprung aus der Zirkuskuppel berühmt war, ihre Nachfolge gesichert. Ob ich noch alle Namen zusammenkriege?

Da wäre erst mal Jonny, der Messerwerfer, auf dessen Zielsicherheit die Frauen vertrauten (Auch ich stellte mich manchmal mit wohligem Schauer freiwillig ans Messerbrett), Hardy, der Feuerschlucker, Ines, die Seiltänzerin, und Liane, die Schlangenbeschwörerin, dann Alfred, der atemberaubende Flic Flacs und Salti schlug und mit seinen Schlagzeugkünsten beeindruckte, und Renaldino, der seine ersten tolpatschigen Schritte als Clown machte. Macht sechs. Und war da nicht noch ein Wickelkind dabei? Wo sind die Zeitzeugen, wenn man sie braucht?

Seinen ersten großen Auftritt in der Manege hatte der dreijährige Renaldino, als er in seinen übergroßen Schuhen mit einem Blumenstrauß auf Charlie Rivel zuwatschelte. Akrobat sü-ü-ü-ß! Das Publikum und die Fotografen waren hingerissen. „Jeder Mensch ist ein Clown, aber nur wenige haben den Mut, es zu zeigen”, behauptete Rivel. Renaldino, der blond gelockte, weiß geschminkte Dreikäsehoch, hatte den Mut dazu.

Viel Wasser ist seit dieser Zeit die Salzach hinuntergeflossen. Aus dem Circus Berlin wurde der Zirkus Togolini, der nun Circus Maximus heißt, aus Renaldino wurde Renaldo. 43 Jahre ist er jetzt. Er hat einen eigenen Familienzirkus gegründet, der in Gardelegen in Sachsen-Anhalt beheimatet ist, ist begeisterter Tierdresseur und legt bei seinen Pferden, Kamelen und Zebras größten Wert auf artgerechte Haltung. Als 2001 das Tierzelt unter der Schneelast zusammenbrach und Corona eine zweijährige Spielpause erzwang, dachte Renaldo Weisheit ans Aufgeben. Doch im Frühjahr 2022 startete er mit kleinerem Zelt neu durch und lässt somit die Familientradition weiterleben.

Der Zirkusvirus, der die Weisheits befallen hat, ist unausrottbar.

© 2022-05-12

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