von S. Eva Riemann
A) Ich dachte immer, es wäre nicht genug. Man muss doch was erreichen wollen im Leben, jemanden bewegen. Den nächsten großen Roman schreiben oder eine Schule auf Sri Lanka bauen. Ich konnte nie verstehen, wie Leute sich mit ihren kleinen Leben abfinden können. Haus, Kinder, Teilzeitjob. Abends zum Sport gehen, sonntags Essen bei Oma.
Doch dann kamst du und zeigtest mir, wie schön es sein kann, nicht ständig zu rennen. Durchzuatmen. Zu sehen, dass es okay ist, vielleicht einfach nur ich zu sein. Dass ich all den anderen Dingen nur hinterherjage, weil ich zu viel Angst habe, das eine, was ich wirklich will, nie zu bekommen. Doch da warst du, und du hast es mir gegeben. Vielleicht war es mir ja gar nicht so wichtig, etwas zu verändern. Vielleicht wollte ich lieber kochen, die Kinder von der Schule abholen und am Wochenende mit dir in die Berge fahren, anstatt sie zu versetzten. Keine großen Abenteuer, sondern friedvolle Momente. Nichts mehr hinterfragen, sondern einfach sein. Ich glaubte, mit dir wäre es genug; ein unkomplizierter Job, eine Familie, ein Haus am See. Jetzt waren wir noch jung, aber in meinem Kopf sah ich den Einzug ins Reihenhaus klipp und klar.
Später frage ich mich, ob ich all das wirklich wollte. Vielleicht war ich bloß eine Schauspielerin, die sich auf die Rolle ihres Lebens vorbereitet. Vielleicht war es eine nette Idee, ein flüchtiger Gedanke. Vielleicht war es der Traum, den ich mir nie erlaubt hatte zu träumen. Eines steht fest, jetzt sind wir ein Wunschbild, von dem ich mir einreden muss, es nicht zu wollen. Vielleicht lege ich ein Kostüm ab, das sich allzu sehr wie eine zweite Haut angefühlt hat. Und ich weiß nicht mehr, ob ich von der Bühne gehe oder sie betrete.
B) Wir waren keine Seelenverwandten, aber es hätte beinahe funktioniert. Du warst du, laut, vorschnell, präsent. Ich war ich, ruhig, vorsichtig, überlegt. Was hatten wir gemeinsam? Hoffnungslose Romantik, Träumerei, den Wunsch nach den gleichen Dingen. Was uns überzeugte, dass wir füreinander bestimmt waren. Ich sah nicht, dass uns sonst nichts verband. Im Gegenteil. Wenn du Struktur fordertest, liebte ich die Spontanität. Wenn ich philosophieren wollte, bliebst du auf dem Boden der Tatsachen. Ich war gelangweilt, wenn ich hätte stolz sein sollen. Du verdrehtest deine Augen, wenn du mich hättest bewundern sollen. Wir haben uns im Moment genossen, aber wir hätten uns niemals vorangebracht.
Wo waren die Ideen, die mich herausforderten?
Wo die Worte, die mich glauben ließen?
Wo die Augen, die mehr verlangten?
Ich bin froh, dass es geendet hat, bevor wir merken konnten, dass wir nicht genug füreinander wären. Oder bevor wir nur noch einander gehabt und dafür alles andere geopfert hätten. Ja, es ist richtig so, doch keine Angst.
Du wirst die finden, die mit dir ein Haus am Berg baut. Und ich werde mich mit niemand anderem zufrieden geben als dem, der meine Welt lebendiger, meinen Geist schärfer werden und meine Träume wachsen lässt.
© S. Eva Riemann 2022-05-01