»AAYYIIIIII, AAYYIIIIII«, rief ich meinem goldenen Adler zu. Denn dies war das Kommando, um auf meinem Arm zu landen, welches wir schon seit Monaten übten. Hoch oben in der Luft an einem Tag ohne Wolken am Firmament kreiste mein Adler und genoss die Freiheit, die seinem natürlichen Wesen innewohnt. Und hier unten saß ich auf dem Pferd meines Vaters, welcher bekannt war als einer der besten Adlerjäger der vielen Nomadendörfer, die es hier in der Umgebung gab.

Schon seit ich laufen gelernt habe, so sagen es zumindest meine Eltern, wollte auch ich eine Adlerjägerin werden. Wobei das Wort »auch« nicht ganz zutreffend ist. Denn bis zum heutigen Tage gab es noch keine einzige Adlerjägerin. Der Tradition nach werden nur die männlichen Nachkommen zu Adlerjägern ausgebildet. Und die Frauen dürfen sich ums Stricken und Nähen, das Kochen und Waschen kümmern.

Wie es dann dazu kam, dass ich dennoch von meinem Vater ausgebildet wurde? Ich nervte ihn ununterbrochen damit, dass ich die beste Jägerin aller Zeiten sein würde. Mein Vater, welcher ein hohes Ansehen in den Gemeinschaften der Nomaden genoss, da er schon einige Male beim jährlichen Turnier der Adlerjäger gewann, verneinte mein Vorhaben vehement. Doch ich gab nicht auf und war hartnäckig und stur, und nach sechs Jahren andauernder Fragerei und Überzeugungskunst nahte sich mein zwölfter Geburtstag. Zu diesem Anlass schenkte er mir dann endlich das, was ich mir am meisten wünschte – seine Zustimmung. Dies war der glücklichste Tag meines Lebens. Und seit knapp zwei Jahren lerne ich nun von ihm, was es heißt, mit dem Adler auf die Jagd zu gehen. Vor allem heißt es, geduldig zu sein, Misserfolge zu akzeptieren und aus ihnen zu lernen. In der ganzen Zeit, seitdem ich mit meinem Adler trainiere, ist dieser erst viermal direkt auf meinem Arm gelandet. Als er das erste Mal auf meinem Arm landete, war ich vom Glück so durchströmt, dass ich überhaupt nicht bemerkte, wie es sich eigentlich anfühlt, wenn ein 8 Kilogramm schweres Lebewesen mit dem Tempo eines Pfeilschusses auf deinem Arm landet. Doch diese Erfahrung spürte ich dann bei den drei Landungen danach, als die Glücksgefühle und das Adrenalin, welche ich beim ersten Mal spürte, nicht mehr meinen ganzen Körper übernahmen. In dem Augenblick, in dem dieser mächtige Vogel auf deinem Arm landet, fühlt es sich an, als würde einem der Arm ausgerissen. Und einen Wimpernschlag später spürt man trotz des dicken, fellbezogenen Handschuhs, der einen vor den scharfen Krallen des Adlers schützen soll, die immense Kraft eben dieser Krallen, die, wenn sie zupacken und sich dann schließen, deine Blutzufuhr in die Hände abschnürt.

»AAYYIIIIIII, AAYYIIIII«, rief ich erneut in die Lüfte, doch Notos, mein Adler, ignorierte das Kommando weiterhin und genoss lieber die südlichen Winde, welche ihm an diesem Tage Auftrieb verliehen.