von mario_nathan
Ich habe schon immer viel Zeit vor dem Computer verbracht. Beruflich und als Hobby. Aber wenn ich mir ein Spiel aussuchen müsste, das mich am meisten geprägt hat, dann ist das Doki Doki Literature Club.
Ausgerechnet Doki Doki Literature Club!
Gaming ist zwar bei Weitem nicht das Randthema, das es mal war, aber Doki Doki Literature Club ist aus einem Genre, das bestenfalls milde belächelt wird: Visual Novel Dating Sim.
Die Story beginnt ähnlich seicht wie bei allen anderen Vertretern dieses Genres. Man spielt einen Schüler an einer japanischen Hochschule. Sayori – deine Nachbarin, Mitschülerin und Sandkastenfreundin – überredet dich, einem Literaturklub an der Schule beizutreten. Die anderen Klubmitglieder sind natürlich alle weiblich und natürlich alle gutaussehend. Der Protagonist hat zwar mit Literatur nichts am Hut, sieht den Literaturklub aber als Möglichkeit, die Frauen dort besser kennenzulernen. Ziel des Spiels ist es, mit Gedichten, die speziell auf eine dieser Frauen zugeschnitten sind, eine romantische Beziehung aufzubauen.
Doki Doki Literature Club weicht aber von der Standardformel ab. Mit der Zeit laufen die Dialoge subtil schlechter, das Spiel schafft es, mit einfachen Mitteln für eine beklemmende Stimmung zu sorgen. In der immer selben sanften Flötenmelodie wird auf einmal ein falscher Ton eingebaut. Man achtet als Spieler verstärkt auf die Melodie. Der falsche Ton kommt aber nie wieder. Und man fragt sich, ob man sich verhört hat.
Mit der Zeit lernt man immer mehr Abgründe in den Persönlichkeiten kennen. Die ganze Story droht zu kippen. Das Spiel zeigt dem Spieler auch auf der Meta-Ebene, dass etwas nicht stimmt. Texte enthalten immer öfter Encoding-Fähler. Grafik-Glitches, wie falsche Farben und Hintergründe, tauchen auf.
Das Spiel gibt einem viele Speicherstände, um unterschiedliche Dialogoptionen und Story-Pfade durchzuprobieren, lädt zum Experimentieren ein. Man wähnt sich in Sicherheit, aber nach einem einschneidenden Ereignis funktionieren die alten Spielstände auf einmal nicht mehr. Man muss mit den bisher getroffenen Entscheidungen und Konsequenzen leben.
Meine erste Wahl fiel auf Sayori. Es ist unglaublich, wie sehr ein Spielcharakter mich an mich selbst erinnern konnte. Eher schüchtern, setzt sich aber für andere ein. Nicht aufdringlich, und hält trotzdem irgendwie die ganze Gruppe zusammen. Vor anderen immer fröhlich, aber wenn man sie dann im Finale von Akt 1 besser kennenlernt … begann ich zu verstehen …
… dass ich selbst auch Depressionen habe.
© mario_nathan 2021-02-13